Auferstehung: Thriller

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eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Die Schatten der Toten.

Jan Fabel, Chef der Mordkommission in Hamburg, hat sich verändert. Vor zwei Jahren ist er beinahe gestorben, als ein Mann ihn anschoss. Er hatte eine Nahtod-Erfahrung, die ihn noch mehr zu einem intuitiv arbeitenden Polizisten werden lässt. Als bei Bauarbeiten eine Leiche gefunden wird, ahnt er sofort, dass es sich um die sterblichen Überreste von Monika Krone handelt, die vor fünfzehn Jahren spurlos verschwand. Wenig später beginnt eine unheimliche Mordserie. Ein Maler, zu dessen frühen Motiven ein Bild von Monika gehört, wird tot aufgefunden, ein Autor, der sich auf moderne Edgar-Allan-Poe-Versionen verlegt hat, wird ermordet. Alle haben eine Verbindung zu Monika gehabt. Und dann taucht ein Mann aus Fabels Vergangenheit wieder auf – und er begreift, welche Dimension dieser Fall hat ...

Jan Fabel ist einer der ungewöhnlichsten Ermittler Deutschlands. Ein packender, vielschichtiger Thriller von einem international vielfach preisgekrönten Autor.


Product Details

ISBN-13: 9783841211675
Publisher: Aufbau Digital
Publication date: 08/15/2016
Series: Jan-Fabel-Serie , #7
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 400
File size: 4 MB
Language: German

About the Author

Craig Russell, Jahrgang 1956, wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, seine Bücher wurden in 23 Sprachen übersetzt. Er hat sich schon als Student für deutsche Kultur interessiert und lebt in der Nähe von Edinburgh.

Im Aufbau Taschenbuch sind die Romane um den Hamburger Ermittler Jan Fabel lieferbar: »Blutadler«, »Wolfsfährte« und »Auferstehung« sowie »Wo der Teufel ruht«.

Bei Rütten & Loening erschien zuletzt: »Der geheimnisvolle Mr. Hyde«.

Die Jan-Fabel-Romane »Brandmal«, »Carneval«, »Walküre« und »Tiefenangst« sind als E-Books bei Aufbau Digital erhältlich.


Stefanie Schäfer studierte Dolmetschen und Übersetzen an den Universitäten Heidelberg und Köln. Für herausragende übersetzerische Leistungen wurde sie mit dem Hieronymusring ausgezeichnet. Sie hat bereits mehrere Bücher von Deon Meyer übersetzt und lebt in Köln.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Der Himmel an jenem Tag, so würde er sich später erinnern, war von einem fahlen Bleigrau. Immer wenn er daran zurückdachte, kam ihm das Fehlen von Farbe am Himmel in den Sinn, das Fehlen von Farbe in allem. Und dass es ihm damals nicht aufgefallen war.

Der Winter war unentschlossen gewesen. An jenem Tag.

»Also, warum knöpfen wir uns ausgerechnet diesen Typen noch einmal vor? Welchen Unterschied siehst du zu den anderen Anwohnern?«, fragte Anna Wolff, als sie und Jan Fabel aus dem neutral lackierten Zivilfahrzeug ausstiegen, einem BMW. »Schalthoff ist nicht vorbestraft. Er ist überhaupt nie auffällig geworden und hat, soweit wir wissen, auch keine einschlägigen Kontakte. Ich kapiere nicht, warum du ihn so auf dem Kieker hast. Hast du eine Vorahnung, oder was?«

»Vorahnungen gibt es nicht, Anna«, erwiderte Fabel. »Es gibt nur unbewusste Verarbeitungsprozesse im Gehirn, die noch nicht zu bewussten Erkenntnissen geführt haben. Ich habe irgendetwas in dem Kerl erkannt ... Ich weiß nur noch nicht genau, was es ist. Bisher jedenfalls.«

»Okay ...«, entgegnete Anna gedehnt. »Alles klar.«

»Hab Geduld mit mir.«

Sie überquerten die Große Brunnenstraße in Richtung des Wohnhauses. Wie unsichtbare Finger, die Seiten umblätterten, wendete ein schneidender Wind das feuchte Laub um, das auf dem Asphalt haftete, und zerrte an den Flugblättern, die überall an den Alleebäumen hingen. Das Gesicht, das Fabel inzwischen so genau kannte – große Augen und unbändiges blondes Haar über einem entwaffnenden Grinsen –, lächelte ihn von dem Foto auf den Flugblättern an. Es war dieses Lächeln, diese Unschuld hinter dem Lächeln, die praktisch die gesamte Altonaer Bevölkerung dazu getrieben hatte, sich an der Suche nach dem vermissten Jungen zu beteiligen. Überall im Viertel fand man die Flugblätter: kleine Banner der Hoffnung, dass der kleine Timo Voss lebendig und unversehrt gefunden würde. Alle suchten nach dem lebendigen, gesunden Timo. Aber nicht Fabel. Sein Job war es seit jeher gewesen, die Toten und die Schuldigen zu finden, nicht die Lebenden und die Unschuldigen. Fabel wusste, dass er ein Gespenst vor sich sah.

»Wie willst du vorgehen?«, fragte Anna.

»Wir improvisieren. Ich will mal sehen, ob ich einen Nerv treffen kann. Er ist mir bei der letzten Vernehmung einfach ein bisschen zu berechnend vorgekommen.«

Als sie das Wohnhaus erreichten, trat eine kleine, mit Mantel und Schal gegen die Kälte geschützte Frau aus dem Haupteingang und drängte sich zwischen ihnen hindurch. Anna erwischte die Tür, bevor sie sich schloss, und ersparte es ihnen damit, klingeln zu müssen.

»Das wird eine nette Überraschung für ihn werden.« Sie lächelte.

»Zweiter Stock«, sagte Jan Fabel und ging ihr im Treppenhaus voraus, wo es schwach nach Desinfektionsmittel roch. Als sie die Wohnung erreicht hatten, bemerkte Fabel, dass auch der Treppenabsatz frisch geputzt sein musste. Wummernde Bässe wehten von einem der oberen Stockwerke herunter und waberten durch den Flur.

Als Fabel klingelte, ertönte ein giftiges Summen, wie von einer gefangenen Biene in einem Glas. Fabel wartete einen Moment, und als niemand reagierte, hämmerte er an die Tür und rief: »Herr Schalthoff?«

»Vielleicht ist er nicht zu Hause«, sagte Anna, als immer noch keine Reaktion kam. »Oder er arbeitet Schicht.«

Aber Fabel wartete, neigte sich zur Tür und lauschte.

»Ich höre Bewegungen«, sagte er leise. Gerade, als er erneut anklopfen wollte, ging die Tür auf, und ein Mann Ende dreißig erschien. Jost Schalthoff, der, wie Fabel wusste, seit der Schule als Techniker für die Stadt Hamburg arbeitete, trug noch immer seinen Arbeitsoverall. Er war mittelgroß und hatte ein offenes, angenehmes, freundliches Gesicht. Sympathisch. Die Art von Gesicht, der man instinktiv vertraute.

Du warst es, du krankes Mörderschwein.

Der Gedanke schoss Fabel in dem Moment durch den Kopf, als Schalthoff in die Tür trat. Der kleine Timo Voss hat deinem Gesicht vertraut, aber für dich war er nur etwas, was du benutzt und weggeworfen hast. Du hast ihn von der Straße geholt, getan, was du wolltest, und ihn dann getötet. Und im selben Augenblick der Hellsichtigkeit wusste Fabel, dass sie Timo finden würden, wenn sie Schalthoffs Wohnung durchsuchten.

Fabel konnte nicht genau ausmachen, was an Schalthoffs Gesichtsausdruck bei der ersten Befragung nicht zu sehen gewesen war. Doch was immer es war, es hatte unmittelbar diese absolute Gewissheit in ihm ausgelöst – irgendetwas in seiner Miene, etwas Vages, Flüchtiges, in diesem Moment, als Schalthoff, der sich aus der Schusslinie glaubte, die Polizei erneut vor seiner Tür stehen sah. Etwas Stärkeres als nur Schuldbewusstsein.

»Wir führen noch weitere Ermittlungen im Fall Timo Voss durch und hätten in diesem Zusammenhang auch noch ein paar Fragen an Sie, Herr Schalthoff, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Fabel zeigte seinen Ausweis, lächelte und sprach bewusst leichthin und sachlich. Schalthoff neigte den Kopf ein wenig schief und blickte angemessen ernsthaft. Und die ganze Zeit über wusste Fabel, dass Schalthoff der Mörder war und dass Schalthoff wusste, dass er es wusste.

»Aber natürlich.« Der städtische Angestellte hielt die Tür auf, und die beiden Beamten der Mordkommission traten ein. »Ich bin gerne behilflich. Eine schreckliche Sache ... Wirklich tragisch.«

Als die Tür hinter ihnen zuklappte, wurde die Musik aus der oberen Wohnung zu einem dumpfen Pulsieren. Schalthoff führte die beiden Polizeibeamten durch einen kurzen Flur ins Wohnzimmer. Fabel registrierte blitzschnell: drei Türen. Zwei Türen geöffnet: kleines Badezimmer mit Toilette, Gästezimmer/Abstellraum und Schlafzimmer. Eine Tür geschlossen, wahrscheinlich das größere Schlafzimmer. Als er am Bad vorbeikam, glaubte Fabel, einen Hauch desselben Desinfektionsmittels zu riechen, den er im Hausflur gerochen hatte.

Zwei Türen offen. Eine Tür geschlossen.

Das Wohnzimmer war sauber und ordentlich. An einem Ende schloss sich eine offene Küche an. Ein Bild zog Fabels Aufmerksamkeit auf sich; es hing an der Dielenwand, dort, wo es ins Wohnzimmer ging. Der Druck eines Gemäldes, es sah wertvoll aus. Schwarz sowie dunkle Blau- und Rottöne dominierten, und die Darstellung war sowohl figürlich als auch abstrakt. Eine Gestalt, ob Frau oder Mann war nicht auszumachen, gekleidet in einen Kapuzenumhang, stand am Ufer eines Flusses. Im Hintergrund schien eine Feuersbrunst eine Stadt zu vernichten, und im Vordergrund spiegelten sich die Figur und die Flammen auf der dunklen, schimmernden Wasseroberfläche wider. Das Gemälde war signiert: Charon.

Das Bild wirkte ein wenig deplatziert in der Wohnung – das gesamte Mobiliar war modern und geschmackvoll, wenn auch nicht sehr hochwertig: ein gut gefülltes Bücherregal unter dem Fenster, ein niedriger Wohnzimmertisch, ein Sofa und zwei Armsessel. Alles nüchtern gestaltet. Auf den Küchenoberflächen stand nichts herum außer einem Kessel, einem Wasserkocher, einem Toaster und einer Mikrowelle. Alles war funktional. Peinlich sauber und ordentlich. Nur der düstere Kunstdruck in der Diele fiel aus dem Rahmen; ansonsten verriet Schalthoffs Wohnung eine kontrollierte Person; jemanden, dem Effizienz und Ordnung Halt boten. Jemanden, der nicht zu Schlampigkeit neigte. Oder zu Chaos.

Doch Jan Fabel, der seit fünfzehn Jahren die Hamburger Mordkommission leitete und sich als Ermittler gegen Serienmörder in der ganzen Bundesrepublik einen Namen gemacht hatte, wusste, dass das nur eine Fassade war: ein sorgfältig konstruierter Zaun, der das dunkle, unbeherrschbare Chaos umschloss, das tief im Inneren Schalthoffs schwelte und brodelte. Etwas, das unter Verschluss gehalten werden musste.

Eine Tür geschlossen.

»Kann ich Ihnen eine Tasse Kaffee oder etwas anderes anbieten?« Schalthoff begleitete die Frage mit einer offenen Geste der Gastfreundschaft.

»Nein, vielen Dank«, erwiderte Anna.

»Aber ich könnte eine Tasse Tee gebrauchen«, sagte Fabel. »Draußen ist es richtig kalt. Wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht.« Er ließ den Blick über die Bücher im Regal schweifen: Horror, Übersinnliches, eine ganze Reihe Gruselklassiker. Eine Broschüre über den Jüdischen Friedhof in Altona, der zu den von Schalthoffs Behörde verwalteten Liegenschaften gehörte, lag oben auf dem Regal.

»Keineswegs«, antwortete Schalthoff lächelnd. »Tee, haben Sie gesagt?«

»Wenn Sie welchen da haben«, antwortete Fabel. Als ihr Gastgeber sich dem Küchenbereich zuwandte, warf Fabel Anna einen Blick zu. Sie begriff und nickte: Fabel versuchte, Schalthoff zu beschäftigen.

Eine Tür geschlossen.

Eine Tür geschlossen, aber nicht abgeschlossen: Fabel brauchte nur in die Diele zurückzukehren, den Griff hinunterzudrücken und die Tür zu öffnen. Doch er hatte keinen Durchsuchungsbeschluss und keine weiteren Anhaltspunkte außer seinem Instinkt und die Ansicht, dass Schalthoffs Kunst- und Literaturgeschmack im Widerspruch zum Interieur stand. Fabel hatte keine Beweise. Und das machte die lächerlich dünne Schlafzimmertür so effektiv wie einen Burggraben und eine Zugbrücke.

Fabel sah zu, wie der städtische Techniker in der Küche den Tee zubereitete. Unwillkürlich wischte sich Schalthoff die Hände an seinem Overall ab, bevor er eine blassblaue Teekanne aus einem der Schränke holte und sie mit heißem Wasser ausspülte. Dann nahm er eine Tasse aus einem der Hängeschränke. Die Pause war nur ein wenig zu lang: eine Mikrosekunde des Zögerns, als sich seine Hand an einer der Schubladen vorbeibewegte.

Was ist in der Schublade, Jost?, dachte Fabel. Was ist es, das wir nicht sehen sollen? Wieder verfluchte Fabel, dass sie keinen Durchsuchungsbeschluss hatten.

»Ich hoffe, wir halten Sie nicht auf«, sagte Anna, ging zur offenen Küche hinüber und stellte sich so hin, dass Schalthoff die Diele nicht unmittelbar einsehen konnte.

»Nein, keineswegs, ich ...«

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihre Toilette benutze?«, unterbrach ihn Fabel. Es funktionierte. Der städtische Angestellte wirkte für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Gleichgewicht gebracht, runzelte die Stirn und glättete dann seinen Gesichtsausdruck mit einem höflichen Lächeln. Wieder lag so viel in diesem Bruchteil einer Sekunde.

»Nein ... Bitte«, sagte er. »Sie ist hinten in der Diele, gleich neben der Tür. Auf der rechten Seite.«

Fabel nickte und kehrte in den Flur zurück. Der Pulsschlag der Musik von oben verstummte für einen Moment, bis er mit einem anderen Rhythmus wieder einsetzte. Hinter ihm hörte er, wie Anna einen Plauderton anschlug.

»Sie haben den kleinen Timo gekannt, soweit ich weiß?«, sagte sie.

»Nein ... Wer hat das behauptet?« Schalthoffs Tonfall war neutral. »Vor seinem Verschwinden hatte ich noch nie von ihm gehört. Es ist wirklich traurig, wenn man bedenkt, wie nah er gewohnt hat – im Grunde um die Ecke. Aber so ist halt das Stadtleben, nehme ich an. Anonym.«

Fabel wusste, dass Anna ihn nicht lange aufhalten konnte. Er passierte das Badezimmer und blickte kurz über die Schulter, um sicherzugehen, dass Schalthoff noch in der Küche stand und er außerhalb seines Blickfelds war, bevor er die wenigen Schritte durch die Diele auf sein Ziel zuging.

Er stand vor der geschlossenen Tür. Wenn er sie öffnete und Timos Leiche fand, wäre es eine rechtsunwirksame Durchsuchung. Um seine Suche zu rechtfertigen, würde er lügen müssen und behaupten, er hätte ein Geräusch gehört und damit einen plausiblen Grund gehabt, anzunehmen, dass Timo noch lebte und hinter der Tür gefangen war. Nur, dass Fabel wusste, dass er nicht lügen würde.

Doch wenn ihn sein Bauchgefühl in Bezug auf Schalthoff nicht trog und er und Anna gehen würden, ohne hinter diese geschlossene Tür geblickt zu haben, würden sie das Risiko eingehen, einen noch lebenden Timo seinem Schicksal zu überlassen. Er lauschte. Keinerlei Geräusche drangen durch die Tür. Er hörte Schalthoff und Anna im Wohnzimmer: Smalltalk, doch jetzt mit einem kaum merklichen Hauch von Ungeduld in Schalthoffs Stimme.

Fabel legte die Hand auf den Türgriff.

Bitte, lass mich unrecht haben. Bitte, lass mich nicht derjenige sein, der ihn findet.

Er öffnete die Tür.

Es gab keine Anzeichen dafür, dass irgendetwas nicht stimmte. Kein gefangenes Kind, weder lebendig noch tot. Wie die übrige Wohnung war das Schlafzimmer sauber, ordentlich, ohne dass etwas herumlag, schon eher spartanisch als funktional. Nichtssagende Dekoration.

Doch ebenso wie der Druck, der in der Diele hing und die Bücher in den Regalen, gab es eine Dissonanz im Schlafzimmer: den Kleiderschrank. Er war zu groß für den Raum und hockte dunkel in jener Ecke, in die am wenigsten Licht fiel, als versuche er, seine wuchtige Gestalt im Schatten zu verbergen. Ein massiver, rustikaler, dunkler Holzschrank. In einer Wohnung mit ansonsten modernen, hellen Möbeln wirkte der schwere Schrank vollkommen deplatziert, wie ein Waldgeist, der sich verirrt hatte und sich im falschen Jahrhundert versteckte.

Fabel lauschte wieder und hörte Anna reden. Sie beherrschte die Unterhaltung und beschäftigte ihren widerstrebenden Gastgeber. Von Schalthoff hörte er nur tiefe Töne, überlagert von den Bässen aus einer unsichtbaren Wohnung.

Ein kleiner Raum. Die Durchsuchung würde nicht lange dauern. Fabel wusste, dass er den Kleiderschrank zuletzt durchsuchen würde.

Leise ging er in die Knie und sah unter dem Bett nach. Nichts. Sonst konnte man nirgendwo eine Leiche verstecken, außer in dem unpassenden Kleiderschrank, der dunkel in der Ecke lauerte.

Bitte, mach, dass ich mich irre. Lass mich nicht derjenige sein, der ihn findet.

Drei Schritte brachten ihn hinüber zum Schrank. Darin war das Chaos gefangen, Fabel wusste es. Dort hatte Schalthoff Timos Leiche versteckt.

Der Kleiderschrank hatte Doppeltüren, und Fabel legte die Hand auf den Messingknauf der rechten Tür. Drehte ihn.

Die Tür knarrte, und er überprüfte die Öffnung mit der anderen Hand, stand stocksteif da und horchte, ob ein wutentbrannter Schalthoff in die Diele stürmte. Doch stattdessen hörte er nur den kontinuierlichen Bass, der aus der oberen Wohnung dröhnte, ein ganzes Universum entfernt, und Annas Stimme, als sie weiterhin den Besitzer des Kleiderschranks im Wohnzimmer festhielt. Vorsichtig öffnete er die Tür ganz.

Bitte, lass mich nicht derjenige sein, der ihn findet!

Fabel seufzte und war nicht sicher, ob vor Erleichterung oder Enttäuschung: Es herrschte kein Chaos im Dunkel des Kleiderschranks. Dort gab es nur zwei Anzüge, einen Kurzmantel und drei Freizeitjacken, alles ordentlich auf Bügel gehängt. Vorsichtig öffnete er beide Türen und inspizierte den Boden des Schranks: drei Paar Schuhe, eines davon Arbeitsschuhe.

Er öffnete die andere Seite und sah zwei Paar Jeans, die ebenfalls unangemessen ordentlich an Bügeln hingen. Darunter stand noch ein Paar Stiefel. Sonst nichts. Kein Chaos, kein Horror. Kein Timo.

Fabel schloss die Schranktüren. Und dann sah er den Karton.

Es war ein unversiegelter Pappkarton – ein Umzugskarton –, der in den Raum zwischen Kleiderschrank und Eckwand geschoben war. Er beugte sich hinunter, hob eine Deckelklappe an und fasste hinein.

Oh, Gott, nein! Oh, großer Gott, nein ...

Fabel richtete sich abrupt auf und taumelte rückwärts. Er stieß mit der Rückseite der Wade gegen eine Ecke des Bettes, stolperte und stürzte schwer zu Boden. Was er in dem Karton gefühlt hatte, blieb wie ein Phantom in seiner Handfläche zurück.

Du krankes Arschloch. Du krankes Mörderschwein!

Geschrei drang aus dem Wohnzimmer. Überwältigt von seinem Ekel, seiner Wut und seinem Abscheu, konnte Fabel nur raten, dass sein Stolpern gehört worden war und Anna den Kampf, Schalthoff zu beschäftigen, verloren hatte. Es war ihm egal. In diesem Moment war er nicht länger Fabel, der Polizist, sondern Fabel, der Vater. Er wollte nur noch eines: Schalthoff packen und ihm die Faust ins Gesicht rammen.

Er eilte aus dem Zimmer hinaus und die Diele entlang, seine Gedanken rasten, das Phantomgefühl weicher Locken auf dem Kopf eines toten Kindes brannte in seiner Handfläche.

Anna stritt nicht, sie schrie. Schalthoff brüllte.

Als er das Ende der Diele erreichte, knöpfte Fabel seine Jacke auf und griff nach der Dienstpistole auf seiner Hüfte.

Alles geschah in nur wenigen Sekunden, doch die Zeit verlangsamte und dehnte sich. Fabel erreichte das Ende der Diele, von wo aus es ins Wohnzimmer ging, und sein erster Gedanke war: Wo kommt die Waffe her? Dann erinnerte er sich an die Schublade. Die Waffe war in der Schublade gewesen. Keine Trophäe von einem ermordeten Kind, kein eilig versteckter, belastender Beweis: eine Waffe. Schalthoff war um Anna herumgegangen und stand ihr jetzt gegenüber, mit dem Rücken halb zu Fabel. Der Mörder hatte die Arme vor sich ausgestreckt und hielt einen Revolver mit eisernem Griff umklammert. Fabel konnte sein Profil sehen: aschfahl, die Gesichtszüge verzerrt in einem Widerstreit zwischen Schrecken und Wut. Anna hielt eine Hand zu ihm hin erhoben, als wolle sie den fließenden Verkehr aufhalten. Die andere Hand war im Griff nach ihrer Waffe erstarrt.

Sie schrien sich an: Schalthoff brüllte in existenzieller Wut, Anna rief professionell Befehle. Fabel blieb stehen, bisher unentdeckt, und griff nach seiner Waffe.

In dem Moment bemerkte Anna ihn.

Schalthoff folgte ihrem Blick und drehte sich um.

(Continues…)


Excerpted from "Auferstehung"
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