Blut auf dem Mond: Die Lloyd-Hopkins-Trilogie, Band 1 »Ellroy ist der wohl wahnsinnigste unter den lebenden Dichtern und Triebtätern der amerikanischen Literatur.« SZ

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»Ellroy ist der wohl wahnsinnigste unter den lebenden Dichtern und Triebtätern der amerikanischen Literatur.« Süddeutsche Zeitung

Lloyd Hopkins, ein junger und hochmotivierter Sergeant vom Los Angeles Police Department, macht Jagd auf den »Dichter« – ein psychopathischer Serienkiller, der Frauen auf grausame Weise tötet, um ihre Unschuld und ihre Seele zu schützen. Als sich die Wege der beiden Männer kreuzen, beginnt ein wahrer Alptraum.


Product Details

ISBN-13: 9783843718011
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 01/25/2019
Series: Die Lloyd-Hopkins-Trilogie , #1
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 335
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

About The Author
James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1981 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Am Freitag, dem 10. Juni 1964, begann das Goldene-Oldie-Wochenende der Radiostation KRLA, Los Angeles. Die beiden Verschwörer, die das Gelände erkundeten, wo das »Kidnapping« stattfinden sollte, drehten ihr tragbares Radio voll auf, um den Lärm der Kreissägen, Hämmer und Meißel zu übertönen – der Baulärm aus dem Klassenzimmer im dritten Stock der Highschool und die Musik der Fleetwoods versuchten, einander akustisch zu überbieten.

Larry »Birdman« Craigie hielt das Radio dicht an sein Ohr gepresst und wunderte sich über den Schwachsinn, noch eine Woche vor Beginn der Sommerferien mit den Bauarbeiten anzufangen. In diesem Moment tönte die Gruppe Gary U.S. Bonds aus dem Radio und sang: »Endlich ist die Schule überstanden, ich bin so froh, ich hab sie bestanden.« Larry krümmte sich vor Lachen und rollte sich auf dem mit Sägemehl bedeckten Fußboden. Die Schule mochte zwar zu Ende sein, bestanden hatte er sie allerdings nicht, und eigentlich war ihm das auch scheißegal. Er wälzte sich auf dem Boden herum, ohne Rücksicht auf das erst kürzlich geklaute lilafarbene Baumwollhemd.

Delbert »Whitey« Haines wurde allmählich genervt und sauer. Birdman war entweder verrückt, oder aber er tat nur so, was bedeutete, dass sein langjähriger Kumpan sich für viel schlauer hielt als er, was wiederum bedeutete, dass er über ihn lachte. Whitey wartete, bis Larrys Lachanfall vorüber war, und brachte sich dann in Liegestützposition. Er wusste, was nun folgen würde: Eine Serie blöder Bemerkungen über Liegestütze auf Ruthie Rosenberg, und wie Larry sie dazu bringen würde, ihm einen zu blasen, während er an den Ringen in der Mädchenturnhalle hing.

Larrys Lachen brach ab, und er öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Whitey ließ es erst gar nicht dazu kommen; er mochte Ruthie und hasste verletzende Äußerungen über nette Mädchen. Er drückte die Spitze seines Stiefels zwischen Larrys Schulterblätter, genau dorthin, wo es am meisten schmerzte. Larry schrie auf und fuhr hoch. Sein Radio hielt er fest an die Brust gepresst.

»Das war doch nun wirklich nicht nötig!«

»Nein«, sagte Whitey, »eigentlich nicht. Ich kann aber deine Gedanken lesen, du Psychopath. Du falscher Psychopath! Sag gefälligst nicht immer so wüste Sachen über nette Mädchen. Außerdem, wir müssen uns jetzt um den Typen kümmern, nicht um Mädchen.«

Larry nickte; die Tatsache, dass er an so wichtigen Plänen teilhaben durfte, ließ ihn die Misshandlung vergessen. Er ging zum Fenster, schaute hinaus und dachte an diesen Drecksack mit seinen Lederschuhen, seinen pfauenhaften grellen Pullovern, seinem anständigen Aussehen und seinem Poesiealbum, das er in dem Fotogeschäft in der Aluardo Street druckte, wo er als Gegenleistung für das Putzen des Ladens mietfrei wohnen durfte.

Das Marshall High Poetry Revier enthielt miserable, schnulzige Gedichte; sentimentales Liebesgesülze, von dem jedermann wusste, dass es dieser hochnäsigen, von einer Konfessionsschule übergewechselten Irin und den Gören ihres Dichter-Klubs gewidmet war und sich gegen ihn und Whitey und alle anderen richtigen Jungs vom Marshall-College richtete. Als Larry mal völlig betrunken den Folk Song Klub heimgesucht und die Hose »runtergelassen« hatte, hatte das Journal dieses Ereignis mit einer Zeichnung von ihm in Kampfuniform aufgegriffen und den ätzenden Text kommentiert: »Wir haben also ein Braunhemd namens Birdman unter uns – Analphabet und im Umgang mit Worten eher karg. Seine Waffen sind Hinterlist, und sein Geist ist wirr. Zweifellos: Ein rechter Scheißkerl ...«

Whitey kam sogar noch schlechter davon: Nachdem er Big John Kafesjian in einem fairen Kampf im Rotunda Court ordentlich verprügelt hatte, hatte der Typ eine ganze Ausgabe des Journals einem »epischen« Gedicht gewidmet, das den Vorfall beschrieb und in dem Whitey als »Weißer Lumpenprolet und Provokateur« bezeichnet wurde. Es endete mit einer Prophezeiung in Form einer Grabrede:

Wohl keine Autopsie wird je beweisen,
was sein nachtschwarzes Herz verbarg:
dass schlaffe Muskeln, im Krampf wie Eisen,
gebildet sind aus Hass und Arg.
– Nehmt dies als Requiem auf einen, der nicht zählt.

Larry hatte sich bereit erklärt, Whitey bei einer kleinen Racheaktion zu unterstützen, und er tat sich damit außerdem noch selbst einen Gefallen: Der Vizepräsident des College hatte nämlich angedroht, dass er bei einer weiteren Schlägerei oder einem ähnlichen Vorfall relegiert werden würde, und der Gedanke an ein Ende der Schulzeit versetzte ihn in Begeisterung. Aber Whitey hatte eine schnelle, spektakuläre Vergeltungsaktion mit der Begründung abgelehnt: »Nein, das wäre zu einfach. Der Typ soll das Gleiche durchmachen wie wir. Er hat uns immerhin ganz schön durch den Dreck geschleift. Wir werden ihm das heimzahlen, und zwar doppelt und dreifach.«

Daraufhin wurde der Plan ausgeheckt: entkleiden, verprügeln, Genitalien anmalen und rasieren. Wenn alles funktionierte, war der richtige Zeitpunkt dafür jetzt. Larry beobachtete Whitey, wie er Hakenkreuze in das Sägemehl malte. Die Del-Viking-Version von »Come Go With Me« ging zu Ende, und die Nachrichten kamen, was bedeutete, dass es drei Uhr sein musste. Ein wenig später hörte Larry Stimmen, und er beobachtete, wie die Bauarbeiter ihr Werkzeug zusammenpackten und die Haupttreppe hinuntertrotteten; jetzt waren sie ganz allein und konnten in Ruhe auf den Dichter warten.

Larry schluckte und stieß Whitey vorsichtig an aus Angst, er könnte ihn bei seiner Beschäftigung stören.

»Bist du sicher, dass er kommt? Was ist, wenn er herausfindet, dass die Nachricht falsch ist?«

Whitey blickte auf und trat mit dem Fuß die Tür eines Spinds ein, dass sie aus ihren Scharnieren gerissen wurde. »Der wird schon kommen. Eine Nachricht von dieser irischen Fotze? Der denkt doch glatt, das ist ein Rendezvous! Aber bleib ganz cool! Meine Schwester hat die Nachricht geschrieben, auf rosa Briefpapier in Kleinmädchenschrift. Aus dem Rendezvous wird nichts. Du weißt schon, was ich meine, wie?«

Larry nickte; er wusste genau, was er meinte.

Die Verschwörer warteten in aller Ruhe; Larry träumte vor sich hin, Whitey durchsuchte die offen stehenden Schließfächer nach Liegengelassenem. Als sie eine Etage tiefer Schritte im Flur hörten, zog Larry seine Sporthose aus einer braunen Papiertüte hervor und nahm eine Tube Spezialkleber aus seiner Hosentasche. Er drückte den ganzen Inhalt der Tube über der Hose aus und presste sich gegen die Schließfächer, die der Treppe am nächsten waren. Whitey kauerte neben ihm, mit einem selbst gemachten Schlagring um die rechte Faust.

»Liebling?«

Der zögernd geflüsterte Kosename ging dem Geräusch der Schritte voraus, die immer kühner zu werden schienen, je mehr sie sich dem Treppenabsatz im dritten Stock näherten. Whitey zählte leise vor sich hin, und als er sich ausgerechnet hatte, dass der Dichter in Reichweite war, schob er Larry aus dem Weg und postierte sich neben dem Treppenrand.

»Sweetheart?«

Larry fing an zu lachen, und der Dichter blieb auf halber Treppe stehen, die Hand auf dem Geländer. Whitey packte seine Hand und riss mit einem Ruck daran, worauf der Dichter die beiden letzten Stufen hinunterstürzte. Brutal gab er dem Arm noch einen Ruck und eine geschickte Drehung genau im richtigen Winkel, mit der er den Dichter in die Knie zwang. Als sein Gegner mit hilflosen, flehenden Augen zu ihm aufsah, trat Whitey ihm in den Magen. Dann zog er das unkontrolliert zitternde Häufchen Elend hoch.

»Jetzt, Birdman!« schrie Whitey.

Larry wickelte die mit Klebstoff beschmierte Sporthose um Mund und Nase des Dichters und drückte so lange zu, bis seine Zuckungen in glucksenden Geräuschen untergingen und die Haut um seine Schläfen herum erst rosa, dann rot, dann blau anlief und er anfing, nach Luft zu schnappen.

Larry ließ ihn los und trat einen Schritt zurück, wodurch die Sporthose auf den Boden fiel. Der Dichter taumelte umher, fiel rückwärts und krachte in eine halb geöffnete Schließfachtür. Whitey stand noch immer mit geballten Fäusten an derselben Stelle, beobachtete den Dichter und sagte leise: »Wir haben ihn umgebracht. Verdammt noch mal, wir haben ihn umgebracht!«

Larry kniete nieder, ein Gebet aufsagend und sich bekreuzigend, als der Dichter endlich japsend Sauerstoff einatmete und einen mit Klebstoff vermischten Schleimkloß ausspuckte und würgend hervorstieß: »Drecks – Drecks – Drecks – Dreckschweine!«

Mit dem ersten vollen Atemzug stieß er das Wort hervor. Seine Gesichtsfarbe wurde langsam wieder normal, und er ging in die Knie. »Dreckschweine! Verdammtes weißes Lumpenpack! Penner! Verblödeter, hinterhältiger, hässlicher Abschaum!«

Whitey Haines begann, vor Erleichterung hemmungslos zu lachen. Larry Craigie seufzte erleichtert auf, und seine zum Gebet gefalteten Hände ballten sich jetzt zu Fäusten. Whiteys Gelächter wurde immer hysterischer, und der Dichter, der zwischen ihnen stand, giftete ihn an: »Hohler, schwanzloser Muskelprotz! Keine Frau würde dich jemals anfassen! Alle Mädchen, die ich kenne, lachen doch nur über dich und dein Fünfzentimeterding! Kein Schwanz, kein Sex. Kein –«

Whitey lief rot an und zitterte vor Wut. Er holte mit einem Fuß aus und trat mit voller Wucht dem Dichter in die Genitalien. Der Dichter schrie auf und fiel auf die Knie. Whitey rief: »Dreh das Radio auf, volles Rohr!« Larry gehorchte, und Beach-BoysMusik schallte durch den Korridor, während Whitey den Dichter mit Füßen und Fäusten bearbeitete. Er rollte sich wie ein Fötus zusammen und murmelte dabei erstickt immer und immer wieder: »Abschaum, Abschaum«, als die Schläge und Tritte ihn trafen.

Als schließlich Gesicht und Arme des Dichters blutüberströmt waren, trat Whitey einen Schritt zurück, um seine Rache voll auszukosten. Er öffnete seinen Hosenschlitz, und als letzter feuchter Gnadenstoß ergoss sich ein warmer Strahl auf sein Opfer. Er spürte, wie er ihm hart wurde. Larry bemerkte es und sah seinen Anführer verdattert an. Was würde jetzt weiter geschehen? Plötzlich durchfuhr Whitey ein Schauer. Er blickte auf den Dichter hinunter, der immer noch »Abschaum« hinausstöhnte und Blut auf die Stahlkappen der Fallschirmjäger-Stiefel spuckte. Jetzt wusste Whitey mit einem Mal, was es mit dem Hartwerden auf sich hatte, und er kniete sich neben den Dichter, zog dessen Levi's-Cordhose und Boxershorts hinunter, drückte ihm die Beine auseinander und drang unbeholfen in ihn ein. Der Dichter schrie kurz auf, als Whitey sich in ihn bohrte, dann beruhigte sich sein Atem und schlug in etwas um, das seltsamerweise einem ironischen Lachen glich. Whitey wurde fertig, zog sich zurück und sah sich Unterstützung heischend nach seinem schreckensstummen Gefolgsmann um. Um es ihm leicht zu machen, drehte er die Lautstärke des Radios so voll auf, dass Elvis Presley sich zu schrillem Gekreische verzerrte; dann sah er dabei zu, wie auch Larry sich an ihrem Opfer Befriedigung verschaffte.

Sie ließen ihn einfach dort liegen, tränenlos und ohne den Willen, mehr zu empfinden als das Gefühl, das die Schändung in ihm hinterlassen hatte. Als sie weggingen, tönte gerade »Cathy's Clown« von den Everley Brothers aus dem Radio. Sie hatten beide lachen müssen, und Whitey versetzte ihm noch einen letzten Tritt.

Er blieb liegen, bis er Gewissheit hatte, dass der Schulhof menschenleer war. Er dachte an seine wahre Liebe und stellte sich vor, sie wäre bei ihm, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, und sie erzählte ihm, wie sehr sie die Sonette mochte, die er für sie geschrieben hatte.

Schließlich stand er auf. Das Gehen fiel ihm schwer, und jeder Schritt verursachte einen stechenden Schmerz vom Darm bis hoch in seine Brust. Er fasste sich ins Gesicht; es war mit einer getrockneten Masse bedeckt, die Blut sein musste. Er rieb sich wütend mit dem Ärmel übers Gesicht, bis der Schorf zusammen mit frischem Blut über glatte Haut rann. Dadurch fühlte er sich besser, und wegen der Tatsache, dass er die Tränen tapfer zurückgehalten hatte, war ihm sogar noch besser zumute. Außer ein paar Schülergruppen hier und da, die sich die Zeit vertrieben und Fangen spielten, war der Schulhof leer, und der Dichter überquerte ihn mit qualvoll langsamen Schritten. Er wurde gewahr, wie eine warme Flüssigkeit seine Beine hinunterlief. Er zog sein rechtes Hosenbein hoch und sah, dass sein Socken mit Blut durchtränkt war, das sich an den Rändern mit etwas Weißlichem mischte. Seine Socken abstreifend, humpelte er weiter in Richtung »Ruhmesbogen«, einem mit Marmor ausgelegten Wandelgang, der an die früheren Abschlussklassen der Schule erinnern sollte. Der Dichter wischte mit dem blutigen Baumwollknäuel über Maskottchen, die die »Delphianer« seit '31 bis hin zu den »Atheniensern« von '63 darstellen sollten, und ging dann barfuß, wobei er mit jedem Schritt kraftvoller und entschlossener auftrat, durch das Südtor der Schule auf den Griffith Park Boulevard, während sein Geist von zusammenhanglosen Gedichtfetzen und sentimentalen Reimen durchflutet wurde; alle waren nur ihr gewidmet.

Als er den Blumenladen an der Ecke Griffith Park und Hyperion erblickte, wusste er, dass er einfach hineingehen musste. Er wappnete sich gegen die Begegnung mit Menschen und ging hinein; er kaufte ein Dutzend rote Rosen, die er an eine Adresse schicken ließ, die er zwar auswendig kannte, jedoch nie aufgesucht hatte. Er legte eine Karte bei, auf deren Rückseite er einige Verse über die Liebe schrieb, die mit Blut besiegelt wird. Er bezahlte den Blumenhändler, der ihm lächelnd versicherte, dass die Blumen innerhalb einer Stunde zugestellt würden.

Der Dichter ging nach draußen, bemerkte, dass es noch zwei Stunden hell sein würde und dass es keinen Ort gab, wohin er jetzt gehen könnte. Das erschreckte ihn, und er versuchte, eine Ode an das schwindende Tageslicht aufzusetzen, um seine Angst in Grenzen zu halten. Er versuchte es immer wieder, aber sein Geist verfehlte den Rhythmus; aus Angst wurde Schrecken, und er fiel auf die Knie, schluchzend nach einem Wort oder Satz flehend, die alles wieder richtig machen könnten.

CHAPTER 2

Als der Stadtteil Watts am 23. August 1965 in Flammen aufging, baute Lloyd Hopkins gerade Sandburgen am Strand von Malibu; er bevölkerte sie mit Mitgliedern seiner Familie und erdachte Charaktere, die seiner eigenen brillanten Fantasie entstammten.

Eine Schar Kinder, die sich nur zu gern unterhalten ließ, hatte sich um den freundlich-umgänglichen Dreiundzwanzigjährigen versammelt, und sie sah ehrfürchtig dem großen jungen Mann dabei zu, wie er mit geschickten Händen Zugbrücken, Burggräben und Wälle formte. Lloyd war eins mit den Kindern und einig mit seiner eigenen Gedankenwelt, die er als etwas Losgelöstes und Eigenständiges erlebte. Die Kinder schauten ihm zu, und er spürte genau ihr Verlangen und ihren Wunsch, bei ihm sein zu können; er wusste instinktiv, wann er sie mit einem Lächeln oder Heben der Augenbrauen belohnen musste, um sie zufrieden zu stimmen, worauf er dann zu seinem eigentlichen Spiel zurückkehren konnte.

Seine irisch-protestantischen Vorfahren kämpften gerade gegen seinen geisteskranken Bruder Tom um die Herrschaft über die Burg. Es war eine Schlacht zwischen den aufrechten Getreuen der Vergangenheit und Tom mit seinen aufrührerischen, paramilitärischen Kohorten, die der Meinung waren, dass alle Neger nach Afrika zurückverschifft werden und sämtliche Straßen in privatem Besitz sein sollten.

Die Verrückten hatten zeitweise die Übermacht – Tom und sein heimlich angelegtes Arsenal von Handgranaten und automatischen Waffen waren gewaltig –, aber die wackeren Loyalisten waren standhaft, wohingegen Tom und seine Bande feige waren; angeführt vom künftigen Police Officer Lloyd hatten die Iren die Technik überlistet und schossen nun brennende Pfeile mitten in Toms Waffenlager, worauf alles in die Luft flog. Lloyd sah in seiner Fantasie Flammen im Sand züngeln und fragte sich zum achttausendsten Mal an diesem Tag, wie die Polizeiakademie wohl sein würde. Härter als das Grundtraining? Musste ja wohl so sein, andernfalls würde die Stadt Los Angeles in arge Bedrängnis geraten.

Lloyd seufzte laut. Er und seine Getreuen hatten die Schlacht gewonnen, und seine Eltern, die ihm auf unerklärliche Weise deutlich vor Augen standen, waren gekommen, um ihren siegreichen Sohn zu feiern und die Verlierer zu beschimpfen. »Gegen ein kluges Köpfchen kann man nun mal nicht an, Doris«, sagte sein Vater zu seiner Mutter. »Ich wollte, es wäre nicht immer so, aber die schlauen Kerle regieren nun mal die Welt. Lern noch eine Fremdsprache, Lloydie; Tom kann sich ja weiter mit diesen Nichtskönnern aus der Telefonbranche herumschlagen, aber du wirst einmal alle Rätsel lösen und die Welt regieren.« Seine Mutter nickte stumm; seit ihrem Schlaganfall konnte sie nicht mehr sprechen.

Tom blickte finster dazu drein, weil er der Verlierer war. Mit einem Male hörte Lloyd Musik, die aus dem Nichts zu kommen schien, und sehr langsam und bewusst zwang er sich, in die Richtung zu sehen, aus der das störende Geräusch kam.

Ein kleines Mädchen hielt ein Radio in den Armen und versuchte mitzusingen. Als Lloyd das kleine Mädchen sah, schmolz ihm geradezu das Herz. Es konnte ja keine Ahnung davon haben, wie sehr er Musik hasste, wie sehr sie seine Gedanken durcheinanderbringen konnte. Er würde der Kleinen gegenüber sanft und zärtlich sein müssen, wie er es Frauen jeglichen Alters gegenüber auch war. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Mädchens auf sich und sagte mit sanfter Stimme, obwohl ihn jetzt Kopfschmerzen zu plagen begannen: »Gefällt dir meine Burg, Kleine?«

(Continues…)


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