Der einsame Bote: Kriminalroman

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Overview

Ein nervenaufreibender Norwegen-Krimi von Spiegel-Bestsellerautor Gard Sveen

Oslo ist ein kalter Ort. Kommissar Tommy Bergmann steht am Abgrund. Bis heute gibt es keine Spur von der 13-jährigen Amanda, die er schon seit Monaten sucht. Jetzt wurde das Mädchen für tot erklärt, der Mörder angeblich beerdigt und der Fall offiziell abgeschlossen. Gibt Bergmann seine Ermittlungen nicht auf, wird er suspendiert. Doch er kann nicht anders, er muss weitergraben in diesem hoffnungslosen Fall und wird dafür von seinen Kollegen isoliert. Als er fast aufgeben will, stößt er auf die Spuren einer Sekte. Ihr Anführer sieht sich als weiser Hirte, der das einfache Leben liebt. Er glaubt, dass ein Mörder erlöst werden kann, wenn ein junges Mädchen geopfert wird. Wie Amanda. Oder wie die Tochter von Susanne Bech, Bergmanns Kollegin.


Product Details

ISBN-13: 9783843717328
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 06/08/2018
Series: Ein Fall für Tommy Bergmann , #3
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 304
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

Gard Sveen, geboren 1969, ist Staatswissenschaftler und hat viele Jahre als Seniorberater im norwegischen Verteidigungsministerium gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Der erste Band der Serie um Tommy Bergmann DER LETZTE PILGER wurde mit dem Rivertonpreis 2013 und dem Glass Key Award 2014 ausgezeichnet, dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis. Gard Sveen lebt in Ytre Enebakk, einem kleinen Ort in der Nähe von Oslo.

Günther Frauenlob, geb. 1965, arbeitet seit 1995 als literarischer Übersetzer aus dem Norwegischen und Dänischen. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen Jo Nesbö, Jörn Lier Horst, Lars Mytting, Line Holm & Stine Bolther uvm. Günther Frauenlob lebt in Waldkirch bei Freiburg i. Brsg. und auf der norwegischen Insel Hidra.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Montag, 11. April 2005

Der Cross traf ihn direkt am Kinn. Tommy Bergmann erinnerte sich nur noch daran, dass er seitlich auf die Matte stürzte, nachdem er das Gefühl für seine Beine verloren hatte. Hinter ihm verstummte das Klatschen der Boxhandschuhe auf die Boxsäcke.

»Verdammt. Alles okay, Kumpel?«

Er hörte Bents Stimme über sich. Blinzelte in Richtung der Lüftungsrohre. Die niedrige Decke schien sich wie eine Müllpresse auf ihn zu senken.

»Was für einen Tag haben wir heute?«, fragte Bent.

Einer der Trainer schwang sich in den Ring.

»Das kann dir doch scheißegal sein«, brummte Tommy.

Bents Lachen klang verächtlich. Wenn du Hege noch einmal anfasst, bringe ich dich um. Das ist dir doch wohl klar, Tommy?, hatte er einmal gesagt. Hätte Tommy jemals an diesen Worten gezweifelt, wären seine Zweifel spätestens jetzt ausgeräumt gewesen. Er versuchte sich aufzurappeln, aber ohne Erfolg.

»Du musst aufpassen, mein Junge«, sagte der Trainer, ein Mann jenseits der siebzig, der von allen nur der Alte genannt wurde. »Du boxt ja wie Rocky, komplett ohne Deckung. Wie oft muss ich dir das denn noch sagen?«

Der Alte und Bent stützten ihn, als sie aus dem Ring kletterten. Verdammt, Bent ist einen ganzen Kopf kleiner als ich, dachte er. Aber schnell wie ein Teufel und mit den Instinkten eines Terriers ausgestattet. Er war es gewesen, der Tommy vorgeschlagen hatte, doch wieder mit dem Boxen anzufangen. Schon als Tommy in der Jugendmannschaft von Oppsal Handball gespielt hatte, waren sie einmal in der Woche zum Boxen gegangen. Er mochte diesen Sport, so dass er sowohl beim Militär als auch auf der Polizeischule damit weitergemacht hatte. Und auch noch in den ersten Jahren, als er schon als Polizist gearbeitet hatte. Aber wenn man boxen wollte, musste man topfit sein und nicht auf seinem Arsch sitzen und dreißig Zigaretten am Tag rauchen.

»Ich kann dich zum Arzt fahren«, sagte Bent. Sie hatten Tommy auf einen Stuhl außerhalb des Rings gesetzt. Sein Blick ruhte auf ein paar Jugendlichen, die am Rand der Boxhalle auf Boxsäcke eindroschen. Die Spiegel am Ende des Raumes ließen ihn doppelt schwindelig werden. Wie im Spiegelkabinett eines Jahrmarkts zweifelte er daran, jemals wieder den Ausgang zu finden.

Bent hockte sich vor ihm hin.

»He, bleib bei uns«, sagte er.

Tommy hatte Schwierigkeiten, sich an den Wochentag zu erinnern, und keine Ahnung, wie spät es sein konnte. Verdammt, war er wirklich derart weit weg? Er blieb eine Weile mit geschlossenen Augen sitzen und ließ sich von Bent die Handschuhe ausziehen. Sein Kopf dröhnte, und er hatte das Gefühl, als wollte sein Kinn abfallen, doch irgendwann erinnerte er sich wenigstens daran, dass Montag war.

Er atmete tief aus und lehnte den Kopf nach hinten. Klopfte mit dem Schädel sanft gegen die Wand, nur um sicher zu sein, dass er auch wirklich festsaß.

»Sicher, dass er nicht zum Arzt muss?«, fragte Bent.

Der Alte schnaubte. »Wenn er nicht plötzlich einschläft oder zu kotzen anfängt, ist alles in Ordnung.« Er klopfte Tommy auf die Schulter.

»Geh duschen«, sagte Bent. »Ich warte in der Garderobe auf dich. Du musst aufpassen, Mann. Boxen ist nichts für Träumer.«

Tommy stand auf und schob ihn zur Seite.

»Lass mich in Ruhe«, sagte er und stützte sich auf dem Weg zur Garderobe an der Wand ab.

Ich darf doch wohl vor die Hunde gehen, wenn ich das will, dachte er und stolperte durch die Tür. Hinter ihm verstummte das Geräusch von gut zehn Paar Boxhandschuhen.

Tommy versuchte, seine Schritte unter Kontrolle zu bekommen, als er zu den Waschbecken ging, und bemerkte kaum, dass die beiden jungen Pakistani, mit denen er schon so oft gesprochen hatte, aus der Dusche kamen, weiße Handtücher um die Lenden gewickelt. Er stützte sich am Waschbecken ab, während sich um ihn herum alles im Kreis drehte; wie damals, als er sechzehn gewesen war und zu schnell zu viel getrunken hatte. Sein Kopf kippte nach vorn. Irgendwann gelang es ihm wieder, sich aufzurichten und die paar Meter zu den Toiletten zu taumeln. Ohne die Tür zu schließen, kniete er vor der Schüssel nieder.

Mehrere Minuten lag er mit dem Kopf auf der Klobrille und wartete darauf, dass er sich erbrach, aber es kam nichts. Vielleicht hatte er doch keine Gehirnerschütterung.

Oder er hatte überhaupt kein Gehirn.

Eigentlich die plausibelste aller Erklärungen.

»Lasst mich in Ruhe« war alles, was er rausbrachte, als einer der beiden Pakistani sich erkundigte, ob er Hilfe brauche.

»Kannst du dich an meinen Namen erinnern?«, fragte der junge Mann.

Es gelang Tommy nur mit Mühe, den Kopf zu drehen.

»Ali«, sagte Tommy. »Ich komme klar, du brauchst nicht Doktor zu spielen.«

»Ich glaube, dein Handy klingelt«, sagte Ali.

Tommy hörte den vertrauten Ton aus der Garderobe.

»Es hat schon ein paarmal geklingelt.«

Tommy streckte ihm den Arm entgegen. »Hilf mir hoch.«

Von Ali gestützt, schaffte er es in die Garderobe, wo er das Handy aus seiner Jackentasche fischte, ehe er sich auf die Bank fallen ließ.

»Tommy Bergmann?«, fragte eine Stimme am anderen Ende.

»Ja«, sagte Tommy, wusste aber nicht, ob er auch so laut sprach, dass er zu hören war.

»Hier Gundersen. Der Anwalt von Anders Rask. Anders hat sich nun doch umentschieden. Er möchte Sie gerne treffen.«

»Wann?«

»Heute Abend.«

Verdammt typisch, dachte Tommy, sagte aber nichts. Seit Wochen versuchte er, ein Treffen mit Anders Rask zu vereinbaren, aber dessen Anwalt hatte ihn immer auf Distanz gehalten. Wenn er die Chance, die sich ihm jetzt bot, ausließ, würde der Anwalt ihm sicher nie wieder eine zweite geben. Aber weder Fredrik Reuter noch sonst jemand im Präsidium durfte jemals von diesem Treffen erfahren, sonst war er fertig und konnte seine Karriere gleich im Klo hinunterspülen.

Tommy schloss die Augen und ließ den Kopf langsam nach hinten kippen, bis er die Wand traf. Es fühlte sich wie ein neuerlicher Schlag an.

»Die Besuchszeit ist von sieben bis acht«, sagte der Anwalt. »Morgen kann er es sich schon wieder anders überlegt haben.«

CHAPTER 2

Irgendwann war ihm mal erzählt worden, die Halbinsel Nesodden habe genau die Größe von Manhattan. Trotzdem erinnerte Tommy wenig an New York, als er die höchste Stelle des Nesoddenbakken erreichte.

Das Rehazentrum Sunnaas lag auf der Westseite der Halbinsel, von wo aus man in der Regel eine grandiose Aussicht über den Fjord und die westlichen Vorstädte von Oslo hatte. An diesem Abend aber war die Klinik eingehüllt von tiefhängenden, dicken Regenwolken, so dass der Blick nicht einmal hundert Meter weit reichte.

Tommy wusste genau, dass dies nicht der richtige Abend war, um Anders Rask gegenüberzutreten. Das hatte er nur zu deutlich gespürt, als er durch die engen Kurven in Richtung Sunnaas gefahren war, aber er hatte ganz einfach keine andere Wahl. Seit Weihnachten war er der Einzige, der daran glaubte, dass Jon-Olav Farberg noch am Leben war und die dreizehnjährige Amanda Viskveen versteckt hielt – wenn er sie nicht bereits getötet und irgendwo verscharrt hatte.

Mit zitternden Fingern zündete er sich eine Zigarette an und ließ das Feuerzeug wieder in seine Tasche gleiten. Dann versuchte er seinen Blick auf die Dokumente zu richten, die auf dem Beifahrersitz lagen: ein Auszug aus der Polizeiakte über Amanda Viskveen, an den oben mit einer Büroklammer ein Passfoto des Mädchens geheftet war. Eine Kreditkartenabrechnung von Jon-Olav Farbergs Bank. Eine Bilanz von einer seiner Firmen und eine erste schriftliche Abmahnung der Personalabteilung des Osloer Polizeidistrikts an Tommy, sich nicht weiter mit dem Fall Amanda Viskveen oder Jon-Olav Farberg zu beschäftigen.

Anders Rasks Anwalt erwartete Tommy an der Rezeption des Rehazentrums. Tommy hatte ihn im letzten Jahr schon einmal in der Psychiatrie in Ringvoll getroffen. Der Anwalt aus Gjøvik hatte überraschend schnell die Wiederaufnahme von Rasks Verfahren erreicht, und inzwischen war klar, dass Rask die Mädchen nicht getötet hatte. Ob es Anwalt Gundersen gelänge, auch einen Freispruch für die Morde an dem Wachpersonal in Ringvoll zu erwirken, war hingegen noch fraglich.

»Ich bin dankbar für diese Gelegenheit«, sagte Tommy und gab dem Anwalt die Hand. Ihre Blicke begegneten sich, und Tommy wurde klar, dass er dem Anwalt einen großen Gefallen schuldete.

Vor seinen Augen flimmerte es, als er Gundersen in die geschlossene Abteilung folgte, die extra wegen Rask eingerichtet worden war. Er schwitzte, und der schmale Flur zog sich mit einem Mal vor ihm zusammen. Alles begann sich zu drehen, so dass er sich an die weiß gestrichene Wand lehnen musste. Die Unterlagen rutschten ihm aus der Hand. Gundersen drehte sich um und sah ihn überrascht an.

»Alles in Ordnung?«, fragte er, als er mit der Zugangskarte in der Hand vor der stählernen Sicherheitstür stand.

»Ich glaube, ich werde krank«, sagte Tommy und versuchte sich an einem Lächeln.

Er wollte wirklich nicht, dass Rask ihn so sah. Schon die Tatsache, dass Tommy selbst um dieses Treffen gebeten hatte, war ein Zeichen der Schwäche.

CHAPTER 3

Anders Rask saß in einem Aufenthaltsraum. Sie sahen ihn im Profil vor einer riesigen Fensterfront, die zum Freigelände hinausging. Er trug einen lila Cardigan und hatte sich eine Wolldecke über die Beine gelegt, als wollte er die Tatsache vertuschen, dass er nicht mehr laufen konnte.

»Jetzt ist er da, Anders«, sagte Gundersen und ging zu dem Sofa, das rechts neben Rask stand.

Tommy musterte den Mann, der sechs Morde an Mädchen und jungen Frauen gestanden und später dann widerrufen hatte. Der einzige Mann in Norwegen, der Jon-Olav Farberg gut genug kannte, um dessen Handlungen zu verstehen.

Tommy hatte zweimal mit Farbergs Exfrau Anne- Britt gesprochen. Sie war sich vollkommen sicher gewesen, dass ihr Mann so etwas niemals hätte tun können. Aber das sagten alle Ehepartner oder Lebensgefährten, wenn sie erfuhren, dass ihr Partner ein Mörder war. In Farbergs Fall ein regelrechter Schlachter.

»Tommy will bestimmt mit mir allein sein«, sagte Rask und drehte den Rollstuhl zur Fensterfront, weg von Tommy und dem Anwalt. »Hab ich recht, Tommy?«

Tommy sah zu Gundersen hinüber, der eine Grimasse schnitt, ein paar Sekunden nachdachte und dann den Raum verließ.

Rask blieb mit dem Rücken zu Tommy sitzen und sah aus dem Fenster. Nebel, Regen und zunehmende Dämmerung.

»Jetzt habe ich wenigstens die Aussicht, die Arne Furuberget mir in Ringvoll nie zugestanden hat«, sagte Rask leise. »Nur schade, dass ich die heute Abend nicht mit Ihnen teilen kann.«

Tommy nahm auf dem Sofa Platz, auf dem Gundersen gesessen hatte, und legte die Unterlagen neben sich ab. Das leise Rascheln ließ Rask den Rollstuhl umdrehen.

Er nahm die Hornbrille ab und klappte sie zusammen.

Tommy dachte, dass er sich gut gehalten hatte: Er sah jünger aus als Tommy, und das, obwohl er elf Jahre in Ringvoll eingesessen hatte und auf der Flucht dann auch noch von einem Beamten in Trondheim in den Rücken geschossen worden war.

»Kristiane wäre heute zweiunddreißig«, sagte Rask und starrte seitlich von Tommy in die Luft.

Tommy sagte nichts. Für Kristiane Thorstensen kam die Rettung mehr als sechzehn Jahre zu spät. Aber vielleicht konnte er ja einem anderen Mädchen helfen, so dass es die Chance bekam, zweiunddreißig zu werden.

Er holte die Akten des Amanda-Falls hervor.

»Ich will Ihnen keine Lügen auftischen«, sagte Tommy. »Der Grund, weshalb ich heute hier bei Ihnen bin, ist dieses Mädchen hier.«

Er stand auf, reichte Anders Rask die Papiere und setzte sich wieder auf das Sofa.

»Ich glaube, Jon-Olav Farberg hat sie«, sagte Tommy.

Rask hielt die Brille noch immer in der Hand und machte keine Anstalten, einen Blick in die Unterlagen zu werfen.

Eine Zeitung lag aufgeschlagen neben ihm auf dem Tisch. Aftenposten. Internationales. Tommy versuchte zu lesen, aber es war zu dunkel, außerdem stand die Schrift von ihm aus gesehen auf dem Kopf. Er bemerkte aber, dass die Ausgabe schon ein paar Tage alt war.

»Jon-Olav ist tot«, sagte Rask. »Ich gehe davon aus, dass Sie bei seiner Beerdigung waren. Polizisten lieben doch solche Beerdigungen.«

Tommy gab nur ein verächtliches Schnauben von sich. Seit Farbergs vermeintlichem Tod waren vier Monate vergangen, doch die DNA-Analyse der verkohlten Leiche aus dem Ofen in Nydalen war angeblich noch immer nicht abgeschlossen. Er hatte den Verdacht, dass Oberstaatsanwalt Svein Finneland die Ergebnisse des Institutes in Tuzla unter Verschluss hielt. Die Analyse konnte unmöglich so lange dauern. Und wenn der Tote wirklich Jon-Olav Farberg war, gäbe es keinen Grund, diese Information nicht bekanntzumachen.

»Ich werde Ihnen etwas sagen, was niemand sonst weiß«, sagte Tommy. Ihm war bewusst, dass er an seinem persönlichen Tiefpunkt angelangt war, wenn er einen Mann wie Anders Rask ins Vertrauen ziehen und ihm glauben musste.

»Jon-Olav Farberg war vor Weihnachten in Lillehammer. Als ihn alle für tot hielten, war er mit einem Lieferwagen auf dem Hof Suttestad. Was, glauben Sie, war in diesem Lieferwagen, Anders?«

Tommys Worte schienen Rask vollkommen kaltzulassen. Er setzte sich die Brille auf die Nase und warf einen Blick auf die Papiere.

»Hübsches Mädchen«, sagte er. »Wirklich hübsch, finden Sie nicht auch? Was meinen Sie, Tommy, wie sieht sie wohl ohne Kleider aus? So kleine, feste Brüste haben sie nur in diesem Alter. Und wie empfindsam die sind.« Ein Lächeln zuckte über Rasks Lippen.

Tommy dachte, dass er Rask am liebsten selbst eine Kugel ins Rückgrat gejagt hätte, aber wenn er sich provozieren ließ, war der Besuch vertane Zeit.

»Vielleicht hat Jon-Olav sie deshalb auserwählt«, sagte Rask. »So verlockend sind nur Dreizehnjährige. Sie glauben nicht, welche Faszination von denen ausgeht. Haben Sie schon mal die Vulva einer Dreizehnjährigen gesehen, Tommy?« Anders Rask konnte sich ein jungenhaftes Grinsen nicht verkneifen. »Warum antworten Sie nicht auf meine Frage?«, fuhr er fort. »Ich versichere Ihnen, der Anblick ist göttlich. Und glauben Sie mir, es ist nie mehr dasselbe, wenn Sie anschließend wieder mit einer erwachsenen Frau schlafen.«

»Sie erwarten doch wohl nicht von mir, dass ich mich provozieren lasse?«, sagte Tommy. »Außerdem wusste ich gar nicht, dass Sie auch mal mit einer erwachsenen Frau geschlafen haben. Sie haben ein großes Mundwerk, Rask, aber eigentlich sind Sie nur ein kleiner Junge, nicht wahr? Hat Ihre Mutter Sie nicht liebgehabt? Ist das Ihr Problem?«

Rask schlug den Blick nieder. Seine Augen hatten für einen Moment einen feuchten Glanz bekommen.

»Lassen Sie uns über Jon-Olav Farberg reden«, sagte Tommy.

Der ehemalige Lehrer nahm die Büroklammer von den Dokumenten und hielt sich das Passfoto vor die Augen.

»Ich glaube, es gibt einen ganz konkreten Grund dafür, dass er Amanda Viskveen ausgesucht hat, Anders.«

Rask erwiderte nichts, stieß nur Luft durch die Nase aus.

»Und ich glaube, Sie wissen, was für ein Grund das ist.«

»Warum sollte ich Ihnen helfen, Tommy?« Rask sprach seinen Namen mit sarkastischem Unterton aus und warf das Bild der Dreizehnjährigen auf die Unterlagen. »Können Sie mir irgendwas bieten?«

»Farberg war mit Amanda in Lillehammer. Und ich glaube, dass sie da noch am Leben war. Vielleicht ist sie das ja noch immer.«

Anders Rask schloss die Augen und blieb lange so sitzen. Es sah aus, als wäre er kurz davor einzuschlafen.

»Ich denke, Sie haben die Fahndung an Interpol gegeben?«, sagte er plötzlich und öffnete die Augen. »Sie werden inzwischen doch wohl ein bisschen klüger geworden sein und ihm keine Geschenke mehr machen, sondern ihn mit allem jagen, was Ihnen zur Verfügung steht?«

Tommy antwortete nicht. Es war, als hätte Rask seine Gedanken gelesen. Tommy hatte um die Interpol-Fahndung gekämpft, aber ohne Erfolg.

»Was glauben Sie, wohin kann er gegangen sein?«

»Was glauben Sie, wenn er denn wirklich noch am Leben ist?«, fragte Rask. »Aber fragen Sie sich doch bitte auch mal, warum in aller Welt ich Ihnen helfen sollte?«

Rask nahm die Zeitung vom Tisch, als wollte er wieder lesen, schien sich dann aber anders zu entscheiden und faltete sie zusammen.

Tommy stand auf, dieses Mal aber etwas zu schnell, so dass der Kopfschmerz mit neuer Intensität hinter seiner Stirn aufflammte. Die Paracetamol, die er im Auto liegen gehabt hatte, wirkten nicht mehr.

»Ich glaube, Sie wollen mir helfen, weil Sie Jon- Olav Farberg eigentlich gar nicht mögen. Er hat sie betrogen, dabei haben Sie ihn für einen Freund gehalten, nicht wahr? Wie viele Freund

(Continues…)


Excerpted from "Der einsame Bote"
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