Der Fledermausmann

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Overview

Der Polizist Harry Hole wird zur Aufklärung des Mordes an der norwegischen Schauspielerin Inger Holter nach Australien gesandt. Dort steht ihm sein Kollege Andrew Kensington, ein Aborigine, zur Seite. Die beiden unkonventionellen Polizisten freunden sich schnell an. Von Andrew erfährt Hole eine Menge über Australien, seine Geschichte und das Leben in Sydney. Doch der Mord an Inger Holter ist kein Einzelfall. Im ganzen Osten von Australien werden junge, blonde Frauen vergewaltigt, mitunter auch erwürgt. Ist der Täter ein psychopathischer Frauenmörder? Entdecken Sie auch MESSER, den neuen großen Kriminalroman um Kommissar Harry Hole!


Product Details

ISBN-13: 9783548920658
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 09/08/2010
Series: Ein Harry-Hole-Krimi , #1
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 416
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

Jo Nesbø, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Die Hollywood-Verfilmung seines Romans Schneemann wird von Martin Scorsese produziert. Jo Nesbø lebt in Oslo.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Sydney, Mister Kensington und drei Sterne

Etwas lief schief.

Die Beamtin an der Paßkontrolle hatte zuerst breit gegrinst: »How are you, wate?«

»I'm fine«, hatte Harry Hole gelogen. Vor mehr als dreißig Stunden hatte er Oslo via London verlassen, und seit Bahrain, wo er ein anderes Flugzeug nehmen mußte, hatte er die ganze Zeit auf diesem verdammten Platz vor dem Notausgang gesessen. Aus Sicherheitsgründen konnte man den Sitz nur minimal nach hinten lehnen, und schon vor Singapur hatte sein Rückgrat damit gedroht, zu kollabieren.

Und jetzt grinste auch die Frau an der Paßkontrolle nicht mehr.

Sie hatte seinen Ausweis mit auffallendem Interesse studiert. Ob es das Bild war oder die Schreibweise des Namens, der sie am Anfang amüsiert hatte, war schwer zu sagen.

»Business?«

Harry Hole glaubte, daß die Zollbeamten in den meisten anderen Ländern der Welt dieser Frage ein »Sir« nachgestellt hätten, doch hatte er gelesen, daß diese Art formeller Höflichkeitsfloskeln in Australien nicht allzusehr verbreitet war. Das war auch ziemlich egal, Harry war weder sonderlich reiseerfahren noch irgendwie eingebildet, er wünschte sich nur so schnell wie möglich in ein Hotelzimmer mit einem Bett zu gelangen.

»Yes« hatte er geantwortet und dabei mit den Fingern auf den Tisch getrommelt.

Genau in diesem Augenblick hatte sie häßlich ihre Lippen gespitzt und mit scharfer Stimme gesagt:

»Why isn't there a visa in your passport, Sir?«

Sein Herz zuckte unweigerlich zusammen, wie immer, wenn eine Katastrophe im Anmarsch zu sein schien. »Sir« wurde vielleicht nur verwendet, wenn eine Situation zu eskalieren drohte.

»Sorry, I forgot«, murmelte Harry und durchsuchte dabei fieberhaft die Innentaschen seiner Jacke. Warum hatten sie das Spezialvisum nicht wie gewöhnlich in seinen Paß heften können? Hinter sich in der Warteschlange hörte er das schwache Summen eines Walkmans und wußte genau, daß es der Nebenmann aus dem Flugzeug war. Er hatte während des ganzen Fluges immer wieder die gleiche Cassette gehört.

Warum, zum Teufel, konnte er sich nie daran erinnern, in welche Tasche er was gesteckt hatte? Zu allem Überfluß war es auch noch heiß, und das, obwohl es schon fast zehn Uhr abends war. Harry spürte, wie sein Kopf zu jucken begann.

Endlich fand er das Dokument und legte es vor ihr auf den Tisch.

»Police officer, are you?«

Die Beamtin schaute von dem Spezialvisum auf und musterte ihn, aber ihr verkniffener Mund hatte sich wieder entspannt.

»Ich hoffe, es sind keine norwegischen Blondinen ermordet worden?«

Sie lachte erfrischend auf und knallte gutgelaunt den Stempel auf das Visum.

»Well, just one«, antwortete Harry Hole.

Die Ankunftshalle des Flughafens war voller Vertreter von Reiseunternehmen und Abholern, die Schilder mit den jeweiligen Namen hochhielten, nur keins mit »Hole«. Er war kurz davor, sich ein Taxi zu nehmen, als er einen Schwarzen in Jeans und Hawaiihemd, einer ungewöhnlich breiten Nase und kurzen dunklen Locken bemerkte, der sich einen Weg durch die Schilder bahnte und langsam auf ihn zukam.

»Mr. H å o – li, I presume!« triumphierte er.

Harry Hole stutzte einen Moment. Er hatte sich darauf eingerichtet, die erste Zeit in Australien damit zu verbringen, die Aussprache seines Nachnamens zu korrigieren, um nicht mit einem Loch verwechselt zu werden. Mr. Heilig war ihm da schon um einiges lieber.

»Andrew Kensington, how are ay?« stellte sich der Mann vor, grinste und streckte ihm eine gewaltige Pranke entgegen. Seine Hand war die reinste Saftpresse.

»Welcome to Sydney – hope you enjoyed the flight«, sagte der Fremde herzlich, wie ein Echo der Stewardeß vor etwa zwanzig Minuten. Er nahm Holes abgenutzten Koffer und begann, ohne sich noch einmal umzusehen, auf den Ausgang zuzugehen. Harry hielt sich dicht hinter ihm.

»Arbeiten Sie für die Polizei in Sydney?« begann er. »Sure do, mate. Watch out!«

Die Schwingtür klatschte Harry voll auf die Nase, so daß ihm die Tränen in die Augen stiegen. Der Anfang einer miesen Slapstick-Komödie hätte nicht schlimmer sein können. Er rieb sich seinen Zinken und fluchte laut auf norwegisch. Kensington schaute ihn mitleidsvoll an.

»Bloody doors, ay?« sagte er.

Harry antwortete nicht. Er wußte nicht, was man hier unten auf so etwas antwortete.

Auf dem Parkplatz schloß Kensington den Kofferraum eines alten, kleinen Toyotas auf und hob den Koffer hinein.

»Do you wanna drive, mate?« fragte er überrascht.

Harry begriff, daß er auf der Fahrerseite stand. Scheiße, hier fährt man ja links. Auf dem Beifahrersitz lagen aber so viele Zeitungen, Cassetten und Müll, daß Harry sich ohne Umstände auf die Rückbank schob.

»You must be an aborigine«, fragte er, als sie auf die Autobahn fuhren.

»Guess there's no foolin' you, officer«, antwortete Kensington und blickte in den Rückspiegel.

»In Norway we call you ›australneger‹ – Australian negro.«

Kensington betrachtete ihn im Rückspiegel.

»Really?«

Harry begann sich unwohl zu fühlen.

»Äh, ich meine nur, daß Ihre Vorfahren ganz offensichtlich nicht zu den Strafgefangenen gehört haben, die vor zweihundert Jahren von England hierhergeschickt wurden«, entschuldigte er sich, um zu zeigen, daß er wenigstens gewisse Grundkenntnisse über die Geschichte dieses Landes besaß.

»That's right Håo-li, meine Vorfahren waren schon ein bißchen früher hier. Vierzigtausend Jahre, um genau zu sein.«

Kensington grinste in den Spiegel, und Harry beschloß, jetzt erst einmal für eine Weile den Mund zu halten.

»I see. Nennen Sie mich Harry!«

»Okay, Harry, ich bin Andrew.«

Den Rest der Strecke redete Andrew. Er fuhr Harry nach King's Cross und erklärte ihm alles: Dieses Viertel war die Heimat von Sydneys Prostituierten und das Zentrum für Drogenhandel und andere lichtscheue Aktivitäten der Stadt. Jeder zweite öffentliche Skandal schien Verbindungen zu dem einen oder anderen Hotel oder einer Stripbar dieses Quadratkilometers zu haben.

»Da wären wir«, sagte Andrew plötzlich. Er hielt am Straßenrand an, stieg aus dem Auto und holte Harrys Gepäck aus dem Kofferraum.

»See ya tomorrow«, sagte Andrew, und damit waren er und das Auto auch schon verschwunden. Mit steifem Rücken und einem Jetlag, der sich immer mehr bemerkbar machte, standen Harry und sein Koffer plötzlich alleine auf dem Bürgersteig einer Stadt, deren Einwohnerzahl in etwa der Bevölkerung von ganz Norwegen entsprach. Hinter ihm erhob sich die Fassade des Crescent Hotel. Neben dem Namen prangten drei Sterne. Oslos Polizeipräsidentin war nicht gerade bekannt dafür, besonders großzügig bei der Einquartierung ihrer Untergebenen zu sein. Aber vielleicht war es diesmal ja doch nicht so schlecht. Wahrscheinlich gab es Rabatt für den öffentlichen Dienst und besonders kleine Zimmer, dachte Harry.

Und so war es dann auch.

CHAPTER 2

Ein tasmanischer Teufel, ein Clown und eine Schwedin

Harry klopfte vorsichtig an die Tür des Polizeichefs des Distriktes Sydney South.

»Komm' rein!« dröhnte eine tiefe Stimme von drinnen.

Ein großer, breiter Mann mit einem beeindruckenden Bauch stand hinter einem Schreibtisch aus Eiche am Fenster. Unter seinem schütteren Haar stachen graue, buschige Augenbrauen hervor, doch in den Augenfalten lag ein Lächeln.

»Harry Hole aus Oslo, Norge, Sir.«

»Setzen Sie sich, Holy. Sie sehen verdammt wach aus, so früh am Morgen. Ich hoffe, Sie haben nicht bereits Kontakt zu unseren Junkies aufgenommen?« Neil McCormack lachte herzlich.

»Jetlag. Seit vier Uhr heute nacht bin ich hellwach, Sir«, erklärte Harry.

»Natürlich. Nur ein kleiner Witz von mir. Wir hatten hier vor ein paar Jahren einen recht schwerwiegenden Korruptionsfall, verstehen Sie. Zehn Polizisten wurden verurteilt, unter anderem, weil sie Drogen verkauft hatten, untereinander. Der Verdacht kam damals auf, weil einige von ihnen so unbeschreiblich wach waren – den ganzen Tag über. Eigentlich sollte man darüber keine Witze machen«, brummte er gutmütig, setzte seine Brille auf und blätterte in den Papieren, die vor ihm auf dem Tisch lagen.

»Sie sind also hierher beordert worden, um uns bei den Untersuchungen im Mordfall Inger Hoher, norwegische Staatsbürgerin mit Arbeitsvisum für Australien, zu unterstützen. Ein blondes, hübsches Mädchen, jedenfalls den Bildern nach. Dreiundzwanzig Jahre, nicht wahr?«

Harry nickte. McCormack war jetzt vollkommen ernst. »Sie wurde von Fischern am Strand der Watson Bay gefunden, genauer gesagt, unterhalb des Gap Parks. Fast nackt, allen Anzeichen nach ist sie zuerst vergewaltigt und dann erwürgt worden, es gibt aber keine Spermaspuren. Dann hat man sie im Dunkel der Nacht in den Park gebracht und die Steilküste hinuntergeworfen.«

Er schnitt eine Grimasse.

»Bei etwas schlechterem Wetter wäre sie sicher von den Wellen erfaßt worden, so aber blieb sie zwischen den Steinen liegen, bis sie am nächsten Morgen gefunden wurde. Wir haben, wie gesagt, keine Spuren von Sperma. Der Täter hat ihre Scheide wie ein Fischfilet aufgeschnitten, und das Meerwasser hat dieses Mädchen gründlich ausgewaschen. Deshalb gibt es auch keine Fingerabdrücke, aber wir haben den ungefähren Todeszeitpunkt« – McCormack nahm seine Brille ab und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht – »und uns fehlt ein Mörder. Und was zum Teufel wollen Sie jetzt machen, Mr. Holy?«

Harry wollte etwas antworten, doch McCormack fuhr ihm ins Wort: »Doch, doch, ich weiß schon, was Sie sich vorgenommen haben: dabei zu sein, wenn wir diesen Bastard einlochen und der norwegischen Presse Bericht erstatten, wie ausgezeichnet die Zusammenarbeit funktioniert. Natürlich passen Sie auch darauf auf, daß niemandem in der Botschaft oder deren Umfeld zu nahe getreten wird, aber ansonsten gilt für Sie, ein wenig Urlaub zu machen und ein oder zwei Karten an Ihre reizende Polizeipräsidentin zu schicken. Wie geht es ihr übrigens?«

»Gut, gut, soweit ich weiß !«

»Eine tolle Frau. Sie hat Ihnen doch sicher auch erklärt, was hier von Ihnen erwartet wird.«

»In Grundzügen. Ich soll an den Untersuchungen mit- wir ...«

»Wunderbar! Vergessen Sie das. Wir haben hier andere Regeln. Erstens: Von jetzt ab hören Sie auf mich, und nur auf mich. Zweitens: Sie beteiligen sich an nichts, um das ich Sie nicht vorher ausdrücklich gebeten habe. Und drittens: Ein Fehler und ich setze Sie ins erstbeste Flugzeug zurück nach Hause.«

All das sagte McCormack mit einem Lächeln, doch die Botschaft war klar: Finger weg! Er war hier nur Zuschauer. Ebensogut hätte er Badehose und Fotoapparat einpacken können.

»Soweit ich das verstanden habe, war Inger Holter irgendeine bekannte Persönlichkeit des norwegischen Fernsehens?«

»Mehr oder weniger, Sir. Sie hat vor ein paar Jahren eine Jugendsendung moderiert. Bevor der Mord geschah, war man gerade dabei, sie zu vergessen.«

»Ja, ich habe gehört, daß Ihre Zeitungen eine große Sache aus diesem Mordfall machen. Einige haben sogar ihre Reporter hergeschickt. Wir haben ihnen gegeben, was wir haben, aber das ist ja nicht allzuviel, und ich denke, daß sie es bald leid sein werden und die Heimreise antreten. Sie wissen nichts davon, daß Sie hier sind. Wir haben unsere eigenen Kindermädchen, die sich um so etwas kümmern, darüber brauchen Sie sich also keine Gedanken zu machen.«

»Danke, Sir«, sagte Harry aus tiefster Seele. Der Gedanke, übereifrige norwegische Journalisten im Schlepptau zu haben, war alles andere als verlockend.

»Okay, Holy, ich will Ihnen die Wahrheit sagen. Mein Vorgesetzter hat mir ganz klar zu verstehen gegeben, daß die Repräsentanten der Stadt Sydney sehr großes Interesse daran haben, daß diese Sache so schnell wie möglich aufgeklärt wird. Wie gewöhnlich dreht es sich dabei um Politik und Wirtschaft.«

»Wirtschaft?«

»Nun, wir rechnen damit, daß die Arbeitslosigkeit in Sydney in diesem Jahr auf über zehn Prozent ansteigen wird, die Stadt braucht jeden Dollar aus dem Fremdenverkehr. Im Jahr 2000 steht die Olympiade vor der Tür, und es kommen immer mehr Reisende aus Skandinavien. Da sind Morde, speziell unaufgeklärte Morde, eine schlechte Reklame. Deshalb tun wir, was wir können, wir haben ein Team von vier Ermittlern, die an der Sache arbeiten, und Priorität, was die Einrichtungen hier im Haus angeht – Datennetze, kriminaltechnisches Personal, Laboranten und so weiter.«

McCormack zog einen Zettel hervor und warf mit gerunzelter Stirn einen langen Blick darauf.

»Eigentlich sollten Sie Wadkins begleiten, aber da Sie explizit darum gebeten haben, mit Kensington zu arbeiten, sehe ich keinen Grund, Ihnen das abzuschlagen.«

»Sir, soweit ich weiß, habe ich nicht ...«

»Kensington ist ein guter Mann. Nicht viele der Ureinwohner bringen es so weit wie er.«

»Wirklich?«

McCormack zuckte mit den Schultern.

»Es ist eben so. Gut, Holy, wenn es etwas gibt, Sie wissen ja jetzt, wo Sie mich finden. Noch Fragen?«

»Äh, nur eine kleine Formsache, Sir. Ich frage mich, ob Sir hier bei Ihnen die richtige Anrede für einen Vorgesetzten ist oder ob das vielleicht ein wenig zu ...?«

»Formell, steif ist? Ja, das ist es wohl. Aber mir gefällt's. Das erinnert mich daran, daß ich hier in diesem Laden wirklich der Chef bin.« McCormack brüllte vor Lachen und beschloß die Begegnung mit einem saftigen Händedruck.

»Im Januar ist in Australien Hochsaison«, erklärte Andrew, während sie sich durch den dichten Verkehr am Circular Quay schoben.

»Die kommen alle, um sich das Opernhaus anzuschauen, eine Hafenrundfahrt zu machen und dann noch einen Blick auf die Mädchen am Bondi Beach zu werfen. Schade, daß du arbeiten mußt.«

Harry zuckte mit den Schultern.

»Das ist schon in Ordnung. In diesen Touristenfallen krieg ich doch nur Schweißausbrüche und Wutanfälle.«

Sie bogen in die New South Head Road ein, und der Toyota beschleunigte hastig in östlicher Richtung auf die Watson Bay zu.

»Der Osten von Sydney ist nicht gerade der Osten von London«, erklärte Andrew, während sie eine noble Villa nach der anderen passierten. »Diese Gegend hier heißt Double Bay. Wir nennen sie Double Pay.«

»Wo hat Inger Holter gewohnt?«

»Sie wohnte eine Weile zusammen mit ihrem Freund in Newtown, doch nachdem sie sich getrennt hatten, zog sie in ein kleines Einzimmerappartment in Glebe.«

»Freund?«

Andrew zuckte mit den Schultern.

»Er ist Australier, Computerfachmann. Kennengelernt hat er sie, als sie vor zwei Jahren hier Urlaub machte. Er hat ein Alibi für die Mordnacht, und außerdem ist er wirklich nicht der Prototyp eines Mörders. But ya never know, do ya?«

Sie parkten den Wagen vor dem Eingang zum Gap Park, einer der zahlreichen grünen Lungen von Sydney. Steile Steintreppen führten zu dem windumtosten Park hinauf, der hoch über der Watson Bay im Norden und dem Stillen Ozean im Osten lag. Die Hitze schlug ihnen entgegen, als sie die Autotüren öffneten. Andrew setzte ein große Sonnenbrille auf, die Harry an einen heimlichen Pornokönig erinnerte. Aus irgendeinem Grund trug sein australischer Kollege heute einen engen Anzug, und Harry fand, daß dem kräftigen schwarzen Mann, der die Treppe zum Aussichtspunkt hochkeuchte, etwas Komisches anhaftete.

»Das ist der Stille Ozean, Harry. Nächster Stop Neuseeland, circa zweitausend nasse Kilometer entfernt.«

Harry schaute sich um. Im Westen erblickte er das Zentrum mit der Hafenbrücke, im Norden den Strand und die Segelboote der Watson Bay und ganz hinten am Ende der Bucht die kleine, grüne Siedlung Manly. Richtung Osten krümmte sich der Horizont in einem Spektrum der unterschiedlichsten Blautöne. Die Klippen vor ihnen fielen senkrecht ab, und weit dort unten beendeten die Wellen ihre lange Reise in einem gewaltigen Crescendo zwischen den Steinen.

»Okay, Harry, jetzt stehst du auf historischem Boden«, sagte Andrew. »1788 schickten die Engländer das erste Boot mit Strafgefangenen nach Australien. Sie wollten sich in der Botany Bay, etwas weiter südlich von hier, ansiedeln, doch glücklich angekommen, meinte der gute Kapitän Philipp, daß die Landschaft dort zu karg sei, und er schickte ein kleines Boot nach Norden an der Küste entlang, um nach etwas Besserem Ausschau zu halten. Das Boot umrundete die Landzunge, auf der wir jetzt stehen, und fand den besten Hafen der Welt. Etwas später kam Kapitän Philipp mit dem Rest der Flotte; elf Schiffe, 750 Strafgefangene, Frauen und Männer, 400 Seeleute, vier Marinekompanien und Verpflegung für zwei Jahre. Aber dieses Land ist schwieriger als es aussieht, es gelang den Engländern nicht, die Natur so zu nutzen, wie es die Aborigines im Laufe der Jahre gelernt hatten. Als zweieinhalb Jahre später das nächste Versorgungsschiff anlegte, waren die Engländer drauf und dran, zu verhungern.«

»Es sieht so aus, als wenn es mit der Zeit besser geworden wäre.« Harry nickte in Richtung der grünen Hügel von Sydney und spürte, wie ein Schweißtropfen zwischen seinen Schulterblättern herabrann. Die Wärme ließ ihn eine Gänsehaut bekommen.

»Für die Engländer trifft das wohl zu«, sagte Andrew und spuckte über die Kante der Steilküste. Sie folgten der Spucke mit den Augen, bis sie sich im Wind auflöste.

(Continues…)



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