Die dunkelste Stunde: Churchill - Als England am Abgrund stand

Mai 1940: Die Nazis erobern Westeuropa. In einer der dunkelsten Stunden der Weltgeschichte steht der frisch gewählte britische Premierminister Winston Churchill persönlich und politisch vor der Herausforderung seines Lebens. Soll er sich Hitler-Deutschland um eines Friedens willen annähern oder entschlossen in den Krieg ziehen? Innerhalb kurzer Zeit muss er sich entscheiden und das britische Volk auf seine Seite bringen. Anthony McCarten, Romancier und Autor der Bestseller Superhero und Licht, entwirft ein spannendes Historiendrama und zeigt, wie Winston Churchill zur Ikone eines ganzen Jahrhunderts werden konnte.

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Die dunkelste Stunde: Churchill - Als England am Abgrund stand

Mai 1940: Die Nazis erobern Westeuropa. In einer der dunkelsten Stunden der Weltgeschichte steht der frisch gewählte britische Premierminister Winston Churchill persönlich und politisch vor der Herausforderung seines Lebens. Soll er sich Hitler-Deutschland um eines Friedens willen annähern oder entschlossen in den Krieg ziehen? Innerhalb kurzer Zeit muss er sich entscheiden und das britische Volk auf seine Seite bringen. Anthony McCarten, Romancier und Autor der Bestseller Superhero und Licht, entwirft ein spannendes Historiendrama und zeigt, wie Winston Churchill zur Ikone eines ganzen Jahrhunderts werden konnte.

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Mai 1940: Die Nazis erobern Westeuropa. In einer der dunkelsten Stunden der Weltgeschichte steht der frisch gewählte britische Premierminister Winston Churchill persönlich und politisch vor der Herausforderung seines Lebens. Soll er sich Hitler-Deutschland um eines Friedens willen annähern oder entschlossen in den Krieg ziehen? Innerhalb kurzer Zeit muss er sich entscheiden und das britische Volk auf seine Seite bringen. Anthony McCarten, Romancier und Autor der Bestseller Superhero und Licht, entwirft ein spannendes Historiendrama und zeigt, wie Winston Churchill zur Ikone eines ganzen Jahrhunderts werden konnte.


Product Details

ISBN-13: 9783843717359
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 01/02/2018
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 320
File size: 4 MB
Language: German

About the Author

Anthony McCarten wurde 1961 in Neuseeland geboren und begann seine Karriere am Theater. Seither feiert er als Theaterschriftsteller, Romanautor und Drehbuchautor immer größere Erfolge: Mit seinen Romanen Englischer Harem und Superhero schuf er sich eine große Fangemeinde. 2015 wird er für sein Drehbuch zum Film The Theory of Everything (Auf der Suche nach der Unendlichkeit) für zwei Oscars nominiert und gewinnt zwei British Academy Awards. Anthony McCarten lebt in London.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Ein Haus ist uneins

Das britische Parlament befand sich in einem Aufruhr aus Ablehnung und Beschimpfungen. »Raus, raus!«, grölte es von den oberen Galerien, wo sich Adlige und Mitglieder des Oberhauses nach vorn beugten, um besser sehen zu können. »Tritt zurück, Mann! Tritt zurück!« In der britischen Politik hatte es so etwas noch nicht gegeben. Mitglieder der Opposition rollten ihre Tagesordnungen dolchartig zusammen und warfen sie in Richtung der in sich zusammengesunkenen, bereits scheiternden und still leidenden Gestalt, die vor der Dokumententruhe saß – des konservativen Premierministers von Großbritannien, Neville Chamberlain.

Aus vielerlei Gründen zögerte Chamberlain jedoch, als Regierungschef zurückzutreten – nicht zuletzt wegen seiner tiefen Unsicherheit dahingehend, wer ihm nachfolgen könnte.

Großbritannien befand sich seit acht Monaten im Krieg und war bislang ziemlich erfolglos gewesen. Sowohl Politiker als auch die Öffentlichkeit schrien nicht nur nach einem neuen Führer, sondern, wie es alle großen Zeiten erfordern, nach einem großen Führer – einem, der sagen könnte, was nur große Führer sagen können: Worte, die bewegen und aufrütteln, überzeugen und inspirieren, Worte, die in den Herzen der Menschen Gefühle erwecken können, von denen sie selbst nichts wissen. Aus diesen Worten werden Handlungen, die wiederum, abhängig von ihrem Wesen, zu Sieg oder blutiger Niederlage führen.

Daneben gab es vielleicht noch etwas, was sich eine Nation in der Krise ebenfalls von ihrem Führer wünscht, so überraschend das klingen mag: Zweifel. Die wichtige Fähigkeit, die eigene Beurteilung anzuzweifeln, einen Geist zu besitzen, der zwei sich widersprechende Gedanken gleichzeitig fassen und dann auch abwägen kann; nicht voreingenommen zu sein und somit im Austausch mit allen bestehenden Ansichten zu bleiben. Dies stand im Gegensatz zu einem entschlossenen Geist, der nur mit einer einzigen Person im Gespräch bleiben konnte: sich selbst. Großbritannien hatte damals geringen Bedarf an einem Ideologen. Was man brauchte, war ein 360-Grad-Denker.

Wie Oliver Cromwell 1650 an die Kirche von Schottland schrieb: »Im Namen Christi ersuche ich Euch, betrachtet es als möglich, dass Ihr irrt.« In jenen Tagen voller Zweifel und angesichts der Herausforderungen, vor denen die britische Nation stand, welche so ernst waren, dass ihre gesamte Zukunft vom nächsten Schritt abhing, lautete die große Frage: Wo ließe sich ein solcher Führer finden?

»In Anbetracht Ihrer jüngsten Erfolge sitzen Sie schon viel zu lange hier. Gehen Sie, sage ich, und befreien Sie uns von sich. Im Namen Gottes, gehen Sie!« Leo Amery, Abgeordneter für Sparkbrook in Birmingham, nahm unter donnerndem Applaus wieder seinen Platz ein. Es war der erste Abend der heute legendären Norwegendebatte, Dienstag, 7. Mai 1940. Das Haus tagte nun schon seit beinahe neun Stunden. Es war ein warmer Frühsommerabend und bereits dunkel. Seine Worte waren wie ein Messerstich in die Seite seines konservativen Kollegen Chamberlain.

Großbritannien war ein geteiltes Land, und die Regierung stand nicht etwa zusammen, sondern war gespalten durch Egos und kleinmütige Streitereien, die zu den katastrophalen militärischen Misserfolgen sowohl auf dem Schlachtfeld als auch auf hoher See beigetragen hatten. Die Aussicht auf einen Sieg des Faschismus und ein Ende der Demokratie in Europa war nicht mehr unvorstellbar.

Die Saat, die bei dieser berühmten Parlamentsdebatte an jenem Abend aufging, wurde fünf Tage zuvor gesät: England hatte die Nachricht erreicht, dass Großbritannien seine Truppen aus dem norwegischen Hafen Trondheim abzog, nachdem sie erstmals unter schweren Beschuss durch die Nazis gekommen waren. Leo Amery und Mitglieder von Lord Salisburys Aufsichtsgremium, welches aus konservativen Parlamentsmitgliedern und Lords bestand und die Regierung zur Rechenschaft ziehen sollte, ebenso wie eine All-Parteien-Initiative des Parlaments mit ähnlicher Zielsetzung, die jedoch von dem Liberalen Clement Davies angeführt wurde und Mitglieder der Labour-Partei umfasste, waren übereingekommen, eine Debatte über die Patzer zu erzwingen, die bei dieser ersten Begegnung mit NaziTruppen begangen worden waren, und mit dieser Debatte zu versuchen, endlich jenen Führer loszuwerden, der, wie sie fanden, ihnen und dem Land einen schlechten Dienst erwies.

Am 7. Mai, dem ersten von zwei Diskussionstagen, um 15.48 Uhr, hatte Chamberlain erstmals das Wort zum Thema »Kriegsführung« ans Parlament gerichtet. Seine Rede, sein Rettungsversuch, stärkte jedoch weder seine Position, noch konnte er Ängste mindern, dass Großbritannien auf den Abgrund zusteuerte. Vielmehr festigte sie die Wahrnehmung seiner Person als müden und defensiven Mann, der die Nation nur weiter in den Untergang treiben würde. »Gebrochenen Herzens und verschrumpelt«, wie sich ein Kommentator später ausdrückte, machte er unermüdlich weiter, während ihm seine Feinde noch weitaus griffigere Sätze an den Kopf warfen. Er kannte diese Sätze nur zu gut, da er sie selbst geprägt hatte: »Frieden in unserer Zeit« (sein hochmütiges Versprechen vom Vorjahr) und »Bus verpasst!« (womit er gemeint hatte, Hitler habe den Anschluss verpasst und stelle keine Gefahr mehr für Europa dar). Nun explodierten sie wie Handgranaten vor seinen Füßen.

Die verhaltene Zustimmung, die Chamberlain während seiner Rede erhielt, beschrieb Labour-Mitglied Arthur Greenwood als »synthetisch«, denn die Stimmung im Hause war nie gedrückter gewesen: »Sein Herz [des Parlaments] ist besorgt. Es ist bange; es ist mehr als bange; es ist beklommen.«

Als Chamberlain seinen Platz wieder eingenommen hatte, setzte der konservative Abgeordnete Admiral Sir Roger Keyes, gekleidet in voller Uniform (im Unterhaus etwas noch nie Dagewesenes), zu einem theatralischen Auftritt an und brachte das Haus zum Schweigen. Keyes, der dem Premierminister seit langem kritisch gegenübergestanden hatte, warf der Regierung eine »erschreckende Unfähigkeit« vor. Er wusste, wovon er sprach: Er hatte das Versagen mit eigenen Augen gesehen.

Der nächste Redner war Clement Attlee, Führer der oppositionellen Labour-Partei. Er war nicht unbedingt für seine Redegewandtheit bekannt, doch das Thema inspirierte ihn offenbar, und er sprach bissig von dem »unfähigen« Umgang mit der Situation durch die Regierung:

Es ist ja nicht nur Norwegen. Norwegen ist nur der Gipfel eines verbreiteten Unbehagens. Die Leute sagen, dass diejenigen, die für die Staatsführung hauptsächlich zuständig sind, Männer seien, die eine fast ununterbrochene Karriere aus Misserfolgen hinter sich haben. Norwegen folgt der Tschechoslowakei und Polen. Es ist immer wieder dieselbe Geschichte: ›Zu spät.‹ Der Premierminister sprach davon, dass Busse verpasst würden. Was ist mit den ganzen Bussen, die er und seine Gefolgsleute seit 1931 verpasst haben? Sie alle haben die Friedensbusse verpasst und stattdessen den Kriegsbus genommen. Die Menschen sehen, dass diese Männer, die in ihrer Einschätzung der Geschehnisse ständig falsch geurteilt haben, dieselben Leute, die glaubten, Hitler würde die Tschechoslowakei nicht angreifen, die glaubten, Hitler könnte befriedet werden, offenbar auch nicht erkannt haben, dass Hitler Norwegen angreifen würde.

Kurz vor Mitternacht am 7. Mai war Chamberlains Schicksal besiegelt, doch schien es vielen Parlamentsmitgliedern, als wäre der Premierminister selbst nicht in der Lage, dies zu erkennen. Diese Blindheit war nichts Neues. John »Jock« Colville, sein Erster Privatsekretär, hatte am Tag zuvor in sein Tagebuch geschrieben: »Der P.M. ist wegen der Angriffe auf ihn seitens der Presse sehr niedergeschlagen ... Ich glaube, er leidet an einer seltsamen Eitelkeit und Selbstüberschätzung, die von München herrührt [Bezugnahme auf September 1938, als man Chamberlain zwar vorwarf, auf sämtliche von Hitlers Forderungen eingegangen zu sein, ihm aber die Wahrung des Friedens zugutehielt] und seitdem trotz mancher Blessuren weiter gediehen ist.«

So kam es, dass am Morgen des 8. Mai, vor dem zweiten und entscheidenden Tag der Debatte und angesichts der nicht erkennbaren Bereitschaft Chamberlains, als Premierminister zurückzutreten, Mitglieder sowohl des Aufsichtsgremiums als auch der All-Parteien-Initiative noch einmal im Parlament zusammenkamen. Sie beschlossen, ein Abstimmungsverfahren zu erzwingen, bei welchem die Abgeordneten darüber befinden sollten, was laut Parlamentsmitglied Herbert Morrison zeigen würde, »ob sie mit der Führung der Staatsangelegenheitenzufrieden sind, oder ob ihnen die Staatsführung Sorgen bereitet«. Mit anderen Worten: Man wollte Chamberlain den K.-o.-Schlag verpassen, indem man ihm die notwendige Anzahl Unterstützer entzog, die er für eine effektive Fortsetzung seiner Amtsgeschäfte brauchte.

Man verständigte die sogenannten Whips, die parlamentarischen Geschäftsführer, die unter den Mitgliedern der zahlreichen Wahlblöcke eifrig um Unterstützung warben. Colville notierte in seinem Tagebuch, dass ranghohe Konservative »über eine Regierungsneubildung sprechen und ernsthaft Modelle wie einen Handel diskutieren (den [Lord] Halifax [Herbert] Morrison vorschlagen soll), bei dem die oppositionelle Labour-Partei zur Regierungsbeteiligung eingeladen wäre. Im Gegenzug will man ein paar wichtige hohe Tiere aus der Regierung entlassen – Sam Hoare, Kingsley Wood, [Sir John] Simon usw. –, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass Chamberlain die Führungsposition beibehält.«

Als das Haus um 14.45 Uhr zusammenkam, um die Kriegsführung zu debattieren, waren die Messer also gezogen und besonders scharf gewetzt.

Bitten an den Labour-Abgeordneten Herbert Morrison, keine Abstimmung zu fordern, waren auf taube Ohren gestoßen. Die Labour-Mitglieder waren fest entschlossen: Sie wollten nicht länger einer nationalen Regierung dienen, der »dieser Mensch« Chamberlain vorstand. Morrison redete zwanzig Minuten lang leidenschaftlich und drängte die Mitglieder des Hauses, bei der Wahl ihrem Gewissen zu folgen und gründlich darüber nachzudenken, ob Großbritannien angesichts der erbärmlichen Kriegsführung in den vergangenen acht Monaten mit dem momentanen Stand der Dinge einfach fortfahren könne. Die Botschaft war schlicht und klar: Nicht nur Chamberlain musste gehen, sondern mit ihm auch all jene, die seine Appeasement Policy (Befriedungspolitik) befürwortet hatten, jenen Irrglauben, der die britische Politik gegenüber Deutschland in den 1930ern beherrscht hatte – nämlich, dass sich ein Diktator, wenn man ihn gut fütterte, zufrieden in seine Höhle zurückziehen würde. Gehen müssten also auch Sir Samuel Hoare (Luftfahrtminister) und Sir John Simon (Schatzkanzler).

Der Entschluss zum Rücktritt blieb Chamberlain überlassen. Geschwächt durch Angriffe von allen Seiten, würde er diesen Schritt bestimmt tun. Und doch widerstand er, blieb auf seiner Bank sitzen und sah nur gelegentlich zu den harschen Blicken auf, aus denen ihm Herabwürdigung und Demütigung entgegenschlug. Als er sich schließlich erhob – so zumindest schildert es der Labour-Abgeordnete Hugh Dalton in seinen Memoiren –, sprang er wütend auf, »zeigte die Zähne wie eine in die Ecke gedrängte Ratte und schrie: ›Ich nehme die Herausforderung an und bitte meine Freunde, und ich habe immer noch einige Freunde in diesem Haus, die Regierung heute Abend in der Lobby zu unterstützen‹«.

Chamberlains Versäumnis, das Ausmaß der Herausforderung zu erfassen, welcher sich die Nation gegenübersah, steigerte noch den Zorn seiner Gegner im Hause. Bald erhoben sich Mitglieder beider Seiten und versuchten, die Blicke des Redners auf sich zu lenken, um ebenfalls sprechen zu dürfen. Rufe wie »Gehen Sie!« und »Treten Sie zurück!« hallten durch den Saal, doch Chamberlain blieb ungerührt. Offensichtlich bedurfte es eines letzten, vernichtenden Angriffs. Der perfekte Mann, um diesen auszuführen, erhob sich.

Der Lärm im Saal verstummte. David Lloyd George, der ehemalige liberale Kriegsminister persönlich, begann höflich, doch dann zunehmend impulsiver, Chamberlain dafür zu rügen, dass er Großbritannien »in die schlechteste strategische Position« in seiner Geschichte manövriert habe. Dies gipfelte darin, dass er sich direkt an Chamberlains Gewissen wandte: »Geben Sie ein Beispiel für Opferbereitschaft, denn nichts kann mehr zu einem Sieg in diesem Krieg beitragen als eine Aufgabe des Amtssiegels.«

Von der Galerie aus verfolgte die Frau des Redners, Dame Margaret Lloyd George, das Geschehen und nickte zustimmend. Sie schrieb später:

Ich bin sehr froh, dass mein Ehemann daran beteiligt war, Chamberlain loszuwerden. Eine derartige Szene habe ich nie gesehen, das Haus war entschlossen, ihn loszuwerden & Sir John Simon & Sam Hoare ... das Geschrei, das seinen Rücktritt begleitete, war entsetzlich, und die Rufe: »Gehen Sie, gehen Sie!« Ich habe nie einen P.M. zurücktreten sehen, der derart verabschiedet wurde. Er hat eine Misere herbeigeführt, und die Konservativen sagten nach München immer: »Er hat uns vor dem Kriege bewahrt.« Arme Dinger, etwas muss ihnen die Augen geöffnet haben.

Die Debatte zog sich bis in die Nacht. Chamberlain wollte nicht so einfach seinen Hut nehmen. Es sollte nur ein paar Wochen dauern, bis er in seinem Tagebuch zum ersten Mal einräumte, unter »beträchtlichen Schmerzen« zu leiden, verursacht durch den Darmkrebs, an dem er nur wenige Monate später starb. Vielleicht wusste er tief in seinem Herzen, dass dieser Augenblick seine letzte Chance war, zu vermeiden, dass man ihn für den Zusammenbruch Europas, der Demokratie und des britischen Lebensstils verantwortlich machte. Vielleicht hatte sein Widerwille, das Amt niederzulegen, aber noch einen anderen, verborgenen Grund.

Wenige Sitze neben ihm in der vordersten Reihe saß ein Mann, der hinsichtlich des Norwegen-Einsatzes im vergangenen Monat – bei welchem der Verlust von 1800 Männern, einem Flugzeugträger, zwei Kreuzern, sieben Zerstörern und einem U-Boot zu beklagen gewesen war – tatsächlich weitaus schuldhafter gehandelt hatte.

Als erster Lord der Admiralität war Winston Spencer Churchill der oberste Architekt der verheerenden MarineStrategie des Landes gewesen. Da sich alle Aufmerksamkeit jedoch auf den Premierminister richtete und seine Zeit zu sprechen noch nicht gekommen war, blieb Churchill aus der Schusslinie, wartete ab und hinterließ keine Fingerabdrücke auf der Mordwaffe.

Churchill war nicht beliebt. Vielmehr war er damals so etwas wie eine Witzfigur, ein Egoist, ein »halber Amerikaner«, der, in den Worten des konservativen Abgeordneten Sir Henry (»Chips«) Channon, nur für eines stand: sich selbst. Heute, da in Großbritannien offiziell 3500 Pubs und Hotels, über 1500 Hallen und Einrichtungen sowie 25 Straßen seinen Namen tragen und sein Konterfei alles Mögliche von Bierdeckeln bis hin zu Fußmatten ziert – nicht zu vergessen seine Büste, die sporadisch im Oval Office des Präsidenten der Vereinigten Staaten auftaucht –, ist es schwer vorstellbar, doch im Mai 1940 war er das Letzte, was die Menschen mit Sicherheit verbanden.

Von vielen innerhalb der Partei noch als Wendehals gebrandmarkt, da er »sein Fähnlein nach dem Wind gerichtet hatte« (er war 1904 vom konservativen Lager zu den Liberalen und 1924 wieder zurück gewechselt), hatte Churchill nichtsdestotrotz eine überraschende Loyalität gegenüber Chamberlain bewiesen. So war es auch an diesem Tag. Mitten in Lloyd Georges Rede bot er sich an Stelle des Premierministers als Schuldigen an: »Ich übernehme volle Verantwortung für alles, was die Admiralität getan hat, und werde meinen vollen Anteil an dieser Last tragen.«

Lloyd George, dessen Redefluss Churchill unterbrochen hatte, entgegnete gewandt: »Der recht ehrenwerte Gentleman braucht sich nicht zum Luftschutzkeller machen zu lassen, damit seine Kollegen nicht von Splittern getroffen werden.«

Churchills mea culpa war nur die erste Stufe einer vorgetäuschten Rettungsaktion, deren Misslingen von Anfang an kalkuliert war. Sie sollte dazu dienen, seine Kollegen mit einer bewegenden Zurschaustellung seiner Loyalität für sich zu gewinnen – eine großartige Gelegenheit, zu zeigen, wie »premierministerlich« er sein konnte, wenn er es versuchte, und um dadurch seinen eigenen Namen als Geheimfavorit ins Rennen zu bringen.

Als er endlich an die Reihe kam, zu sprechen, was er ausgiebig tat, beugten sich die Rebellen nach vorn, erwartungsvoll, in der Hoffnung auf Sätze der Verdammung, doch er sagte nichts Unrühmliches, ja eigentlich nichts, das sich Chamberlain nicht selbst auf seinen Grabstein hätte schreiben können. Vielmehr hatte Churchill sogar ein wenig Lob für ihn übrig, welches aber derart schwach war, dass es exakt vermittelte, was er wollte: zu wenig, zu spät. Die Rettungsansprache, die Churchill hätte halten können, wurde eindeutig für einen anderen Tag, für eine andere Stunde aufgespart. In ihm reiften bereits andere Reden, heimlich einstudierte Sätze, die in den kommenden Tagen einem anderen, spektakuläreren Zweck dienen und hier nicht verschwendet werden sollten.

Als Churchill wieder seinen Platz einnahm, hatte er mit seiner Rede möglicherweise eines erreicht: Sein eigener Stern, wenn dieser auch noch nicht hell erstrahlte, hatte in einem kritischen Moment ein wenig an Glanz gewonnen, während die Sterne aller anderen erloschen.

(Continues…)



Excerpted from "Die Dunkelste Stunde"
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Copyright © 2017 Anthony McCarten.
Excerpted by permission of Ullstein Buchverlage.
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Table of Contents

Umschlag,
Über das Buch und den Autor,
Titelseite,
Impressum,
Einleitung,
DIENSTAG, 7. MAI 1940,
1. Ein Haus ist uneins,
2. Der Taugenichts,
FREITAG, 10. MAI 1940,
3. Ein Führer strauchelt,
4. Der heilige Fuchs,
SAMSTAG, 11. MAI 1940,
5. Der große »Diktator«,
MONTAG, 13. MAI 1940,
6. Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß,
DIENSTAG, 14. MAI 1940,
7. Die Lage verschlimmert sich,
MONTAG, 20. MAI 1940,
8. Ängste, Zweifel und Druck von innen,
MONTAG, 27. MAI 1940,
9. Krise in Kabinett und Führung,
MITTWOCH, 29. MAI 1940,
10. »Wir werden an den Stränden kämpfen«,
Epilog: Der Wahrheit zu Ehren,
Danksagung,
Bildteil,
Bildnachweise,
Feedback an den Verlag,
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