Die Sprachreiniger: Wie der Kampf gegen Fremdwörter den deutschen Nationalismus beförderte

Die Sprachreiniger: Wie der Kampf gegen Fremdwörter den deutschen Nationalismus beförderte

by Karl-Heinz Göttert
Die Sprachreiniger: Wie der Kampf gegen Fremdwörter den deutschen Nationalismus beförderte

Die Sprachreiniger: Wie der Kampf gegen Fremdwörter den deutschen Nationalismus beförderte

by Karl-Heinz Göttert

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Overview

Nirgendwo entwickelte sich der Sprachnationalismus des 19. Jahrhunderts so rigoros und militant wie in Deutschland. Und nirgendwo waren die Folgen derart fatal. Karl-Heinz Göttert liefert mit seiner historischen Studie des Allgemeinen deutschen Sprachvereins eine bittere Realsatire aus dem Giftschrank der deutschen Kulturgeschichte – mit hohem aktuellen Bezug.
"Schmach über jeden Deutschen, der seine heilige Muttersprache schändet!" So wetterte Otto Sarrazin 1914 gegen alle, die es wagten, aus Fremdsprachen übernommene Lehnwörter zu verwenden. Er war der Vorsitzende des Allgemeinen deutschen Sprachvereins, der zwischen 1886 und 1943 versuchte, die deutsche Sprache von fremden Einflüssen reinzuwaschen. Unter viel Applaus fochten seine Mitglieder darum, Worte wie "Sauce" oder "Dame" aus dem Wortschatz zu entfernen. Dabei verband sich dieser Kampf mit einem Chauvinismus, der geradewegs in Fremdenhass mündete, den Kriegsausbruch als Chance auf Deutsch als Weltsprache begrüßte und schließlich den Rassismus der Nazis aufnahm. Der Germanist Karl-Heinz Göttert hat die so erfolglose wie unheilvolle Geschichte dieses dogmatischen Intellektuellenzirkels umfassend recherchiert. Sein Buch zeigt, wie vernunftbegabte Bildungsbürger auf nationalistische Abwege geraten.


Product Details

ISBN-13: 9783843721875
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 10/25/2019
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 368
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Karl-Heinz Göttert, geboren 1943 in Koblenz, war bis 2009 Professor für Germanistik an der Universität zu Köln. Seine Schwerpunkte sind Rhetorik, Stilistik und Konversation. Er hat historische Kriminalromane sowie Standardwerke über Sprache und Orgelmusik verfasst. Bei Ullstein erschienen von ihm Deutsch. Biografie einer Sprache und Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte. Seine bei S. Fischer veröffentlichte Studie "Mythos Redemacht" stand 2015 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse.
Karl-Heinz Göttert, geboren 1943 in Koblenz, war bis 2009 Professor für Germanistik an der Universität zu Köln. Seine Schwerpunkte sind Rhetorik, Stilistik und Konversation. Er hat historische Kriminalromane sowie Standardwerke über Sprache und Orgelmusik verfasst. Bei Ullstein erschienen von ihm Deutsch. Biografie einer Sprache und Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte. Seine bei S. Fischer veröffentlichte Studie „Mythos Redemacht“ stand 2015 auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

»Pulver, Brot und Briefe waren die drei Hauptbedürfnisse«

Heinrich von Stephan

Stolp in Pommern, eine preußische Kleinstadt nahe der Ostsee, zwischen Stettin und Danzig gelegen. Hier erblickte im Jahre 1831 das Kind eines Schneiders und Betreibers einer Gastwirtschaft das Licht der Welt. Sein Name war Heinrich Stephan, eines von sechs Kindern, die die Mutter großzog. Wohl vom Vater ging der Ehrgeiz nach einer möglichst guten Schulbildung aus, zumindest soweit die finanziellen Möglichkeiten dies hergaben. Es reichte immerhin zur örtlichen Lateinschule, einem altsprachlichen Gymnasium, auf dem der kleine Heinrich Latein und Griechisch sowie Französisch lernte, wobei der Vater nebenbei für privaten Unterricht in Italienisch, Spanisch und Englisch sorgte. Die Sprachkenntnisse boten ein Sprungbrett aus der elterlichen Kleinbürgerlichkeit; im Falle des kleinen Heinrich versprachen sie eine Befreiung aus der Enge der preußischen Provinz.

Es fruchtete. Denn Heinrich, nebenbei auch noch musisch begabt, empfahl sich für eine Beamtenlaufbahn. Für ein Universitätsstudium reichte das Geld dann doch nicht. So trat er als Siebzehnjähriger in die Post ein, der er lebenslänglich angehören sollte, zuletzt als ihr oberster Dienstherr.

Es macht Spaß, diese ganz und gar unwahrscheinliche Biografie weiterzuverfolgen, die gleichzeitig viel Charakteristisches für die Zeit enthält. Mit all den Sprachen wurde Heinrich Stephan zunächst einmal »Schreiber« im Postamt der Vaterstadt. Die Prüfungen bestand er alle mit Auszeichnung. Er absolvierte den Militärdienst, ging dann nach Berlin, ins Zentrum Deutschlands. Dort schien nicht alles nach Plan gelaufen zu sein, denn man versetzte ihn nach Köln – schlimmer geht es nicht, weil die Preußen nirgendwo unbeliebter waren.

Aber Köln bedeutete Rheinprovinz, und in der herrschte einige Ungeordnetheit, was die Verwaltung betraf, zum Beispiel ein Tarifwirrwarr. Wer da den Durchblick behielt oder gar für solchen sorgte, fiel positiv auf. Stephan muss in dieser Hinsicht einiges geleistet haben, auch wenn er nebenbei Hobbys betrieb, zum Beispiel das Verfassen von Musik- und Theaterkritiken.

Ob an der nun folgenden Geschichte etwas dran ist oder nicht (sie wird in verdächtig voneinander abweichenden Versionen überliefert): Jedenfalls soll der Generalpostmeister Heinrich Schmückert beobachtet haben, wie er auf der Straße den Streit zwischen einer italienischen Dame und einem Kölner Kutscher schlichtete – auf Italienisch natürlich. Der beeindruckte Vorgesetzte ließ ihn daraufhin nach Berlin zurückkehren, und Stephan wurde Sekretär im Generalpostamt.

Das war 1856. Drei Jahre später erschien von dem zu diesem Zeitpunkt erst Siebenundzwanzigjährigen die Geschichte der preußischen Post von ihrem Ursprunge bis auf die Gegenwart, auf unfassbaren 800 Seiten, komplett aus den Archiven erarbeitet. Sein Vorbild, das er anerkennend nannte: Leopold von Ranke, das lebende Berliner Professorendenkmal. Und weil das Organisatorische sein Metier war, folgte im selben Jahr auch noch der Leitfaden für die schriftlichen Arbeiten im Postwesen, besser bekannt als Der kleine Stephan. Zu dieser Zeit war Stephan noch Postrat in Potsdam, 1863 wurde er dann Oberpostrat im Generalpostamt in Berlin.

Was man bedenken muss: In dieser Zeit, noch vor den Kriegen mit Dänemark, Österreich und Frankreich, die zur Gründung des Deutschen Reiches führten, existierten in »Deutschland« fünfzehn selbstständige Postverwaltungen, nur locker überdacht vom deutsch-österreichischen Postverein. Alle diese Verwaltungen hatten mit den anderen Ländern jeweils eigene Verträge. Das schrie förmlich nach Vereinfachung, überhaupt nach einer Abwicklung mit weniger Pannen, bei der die Post entweder gar nicht oder nur über leidige Umwege mit fast unkalkulierbarer Verspätung ankam.

Stephan muss klar gewesen sein, dass ein Neuanfang unabdingbar war. Und er ergriff die Chance zum Handeln, als sie sich bot. Dies war zunächst 1866 der Fall, als preußische Truppen in die ehemals Freie Stadt Frankfurt am Main einmarschierten, wo sich die Generaldirektion der alten Post befand. Sie gehörte dem Fürsten von Thurn und Taxis und beherrschte mit ihren kaiserlichen Privilegien seit 300 Jahren das Feld mehr schlecht als recht. Heinrich Stephan erhielt den Auftrag zu Verhandlung und Übergabe, an deren Ende ein einheitliches deutsches Postwesen im Rahmen des Norddeutschen Bundes stand – mit einer Entschädigung des Fürsten in Höhe von drei Millionen Talern. Verträge mit den süddeutschen Staaten, vor allem mit Württemberg und Bayern, folgten, und überall hatte Stephan das Sagen, in Absprache mit dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, der den immer noch jungen Mann immer höher weiterempfahl, bis er 1870schließlich auf die Stelle des Generalpostdirektors beim Generalpostamt des Norddeutschen Bundes gehoben wurde.

Ein Jahr später gab es das Deutsche Reich und mit ihm eine Post, die dem Reichskanzleramt zugeordnet war. Die weiter bestehenden 22 Bundesstaaten mussten eingegliedert werden, wobei Württemberg und Bayern auf einer Eigenständigkeit beharrten, die erst 1919 endete. Zusätzlich hatte Stephan während des DeutschFranzösischen Krieges von 1870/71 die Feldpost organisiert und in diesem Zusammenhang eine Erfindung gemacht, die erst heute langsam zu verschwinden droht: die Postkarte. Die damaligen militärischen Erfolge der Deutschen waren neben dem Einsatz der neuartigen Telefonleitungen auch dieser Form von Nachrichtendienst zu verdanken. Stephan selbst fasste es bemerkenswert prägnant zusammen, wenn er in seinem1874 im Wissenschaftlichen Verein zu Berlin gehaltenen Vortrag Weltpost und Luftschifffahrt über diesen Krieg schrieb: »Pulver, Brot und Briefe waren die drei Hauptbedürfnisse.«

Als wäre all dies nicht genug, erfolgte der eigentliche Paukenschlag erst noch. In einer Denkschrift von 1868 hatte Stephan den Gedanken eines Weltpostvereins skizziert, mit störungs- beziehungsweise gebührenfreiem Transit und Erhebung der Kosten lediglich im Absenderland. Das ganz und gar Unwahrscheinliche gelang nach Kongressen in Bern 1874 und Paris 1878. Deren Vorsitz lag stets bei Stephan, dem Vielsprachler, der dank seiner Spanischkenntnisse seinen ersten internationalen Vertrag mit Spanien geschlossen hatte. Zunächst machten 22 europäische und außereuropäische Regierungen mit, aber die Zahl wuchs unaufhörlich. Der Durchbruch war jedenfalls erzielt und die Welt in einem wichtigen Punkt globalisiert. Der erbliche Adelsstand für den Initiator folgte als Belohnung für diesen Erfolg. Der Generalpostmeister war mittlerweile Wirklicher Geheimer Rat mit dem Titel Exzellenz, etwas später Staatssekretär, also Postminister, daneben Träger des Roten Adlerordens am Band. Ein Ölgemälde zeigt den einstigen Stolper Jungen in umwerfendem Flitter. Erst nach Bismarcks Rücktritt 1890 wurde es auch stiller um Stephan.

Hinzuzufügen wäre noch vieles, vor allem der Ausbau des Telegrafenwesens, das unter Stephans Leitung der Post eingegliedert wurde. Auch der mittlerweile auf 34 000 Meilen ausgebaute Schienenweg half bei der Postbeförderung, für die inzwischen täglich 2578 Eisenbahnzüge im Einsatz waren. In seinem Vortrag Weltpost und Luftschifffahrt glänzte Stephan mit diesen und noch viel mehr Zahlen, darunter die 250 000 ankommenden und abgehenden Briefe und Postkarten allein in Berlin, pro Minute 173. An Silvester des Vorjahres lagen in311 Briefkästen der Stadt 547 377 Briefe und Postkarten – je ein Brief auf zwei »Seelen«, die nicht Schreib-, sondern, ihrem Alter entsprechend, lediglich »Schreifähigen« mit eingerechnet. Im Vorjahr wurden im gesamten Reich 500Millionen Briefe verschickt, dazu 230 000 Millionen Zeitungen ausgeliefert, 45Prozent davon privat, des Weiteren wurden zehn Millionen Telegramme zugestellt. Allein die Korrespondenz in Verbindung mit Verlobungen kam auf350 000 Briefe pro Jahr, bei einem Finanzvolumen von zehn Millionen Talern, wobei der immer gut aufgelegte Stephan vorschlug, bei Liebesbriefen das Porto zu halbieren.

Voller Stolz nachgetragen wurden Zahlen um Zahlen über die »Gesamtcirculation im Reichspostgebiet«, im Vorjahr 800 Millionen Sendungen, pro Minute 1400. Die Korrespondenz ins Ausland zählte 95Millionen Briefe, von den Fidschi-Inseln bis Grönland. Auf »Mutter Erde« insgesamt kämen jährlich um die 3,3 Milliarden Briefe an, jede Sekunde 100Stück. Bei einer Gesamtbevölkerung von 1,3 Milliarden ergebe das pro Kopf durchschnittlich drei Briefe im Jahr. Russland wurde für seine Anstrengungen in seinem Riesenreich gelobt und bei Japan erwähnt, dass Verfehlungen wie die Unterschlagung von Briefen nicht unter siebzig Tagen Zwangsarbeit zur Folge hätten.

Und immer wieder dringt ein Hauptpunkt durch: das Weltweite, das die Nationen Überspannende, der Verkehr als wahrer Befrieder der Menschheit. Nein, nicht das Militär beherrscht diese Welt, sondern die Post. Die Menschen wollen sich nicht gegenseitig totschießen, sondern sich Karten, Briefe und Pakete zuschicken. Als Ausblick diente die allerneueste Beförderungsmöglichkeit, die sich ebenfalls bald in den Dienst der Post stellen lasse: die Luftschifffahrt. Natürlich gab es auch dafür eine Zahl: Die Gesamtsumme der in Europa und Amerika ausgeführten Luftfahrten betrage mittlerweile 3700.

All dies wäre nicht zu erzählen, wenn darauf nicht etwas folgte, das uns hier besonders interessiert. Denn Heinrich (nun: von) Stephan war bei seinen Vereinheitlichungsplänen etwas verhältnismäßig Harmloses als besonders störend aufgefallen: die unterschiedlichen sprachlichen Bezeichnungen im Postwesen, vor allem die große Zahl französischer Begriffe in einigen Regionen. Und so führte er kurzerhand Verdeutschungen ein und verordnete am31. Dezember 1874 seinen Beamten die Ersetzung von 58 Fremdwörtern durch deutsche. So sollte fortan zum Beispiel »rekommandiert« durch »eingeschrieben« ersetzt werden, »Expressbote« durch »Eilbote«, »postrestante« durch »postlagernd«, »Couvert« durch »Umschlag«. Am 21. Juni1875 kamen um die 700 weitere Ersetzungen hinzu. In einem Brief an Daniel Sanders, Professor der Germanistik und Herausgeber eines Fremdwörterbuchs, behauptete Stephan, auf ausdrückliche Anweisung Bismarcks gehandelt zu haben.

Der erst preußische, dann Generalpostmeister des Reiches war jedenfalls einer der ersten Sprachreiniger seiner Zeit. 1877 hielt Stephan den Vortrag Die Fremdwörter, in dem er nebst Warnung vor Übertreibung vor allem das Ziel der Verständlichkeit hervorhob. Witzig berichtete er von einem Bezirksarzt auf dem Lande, der eine Belehrung über die Maul- und Klauenseuche mit Wörtern wie »spontan«, »prophylaktisch«, »Exkretion«, »therapeutisch« und so fort garnierte. Er endete mit der Frage: »Muss der Bauer nicht glauben, die Maul- und Klauenseuche sei in die Sprache gefahren?« Aber Stephan wurde für seinen Einsatz nicht gelobt, sondern verspottet. Er möge doch bitte mit seinem eigenen »griechischen« Namen beginnen, las man in der Presse, sich also »Kranz« nennen. Außerdem wurde kritisiert, er habe Fremdwörter wie »Secretair« oder »Eleve« geschont. Weiter zog man gegen eine »neuerungssüchtige Post« zu Felde, gegen die Anmaßung eines Einzelnen, nicht zuletzt gegen die Nachteile beim Verzicht auf international geläufige Begriffe.

Der Angegriffene saß die Angriffe jedoch aus, so wie er schon den Angriff der Siegelmacher ausgesessen hatte, als er das fünffache Siegel auf den Geldbriefen abgeschafft hatte. Jeder Bürger, der sich der Post bediente, sollte nicht nur klare Tarife nach klaren Gewichtsvorgaben finden, sondern auch klare Bezeichnungen. 1887 erging eine Verordnung über Bauten der Postverwaltung, nach der in deren Planungen und Zeichnungen alle Fremdwörter fernzuhalten, die technischen Ausdrücke also durch deutsche zu ersetzen waren. Eine weitere Verordnung verlangte, die Aufschriften in den Post- und Telegrafengebäuden umzustellen: »Korridor«, »Etage« und »Portier« sollten durch »Gang«, »Geschoß« und »Pförtner« ersetzt werden. (Im Übrigen gebrauchten nur die Deutschen ein Wort wie »rekommandiert«, die Franzosen sagten dazu chargé, die Engländer und Amerikaner registered. Und nur die Deutschen kannten in diesem Zusammenhang das Wort »postrestante«, die Italiener benutzten dafür ferma in posta.)

Und siehe da: Als sich der Allgemeine Deutsche Sprachverein gründete und seine Fremdwörterkampagne begann, berief man sich auf ebendiesen Stephan, machte ihn sogleich standesgemäß, also auf telegrafischem Wege zum ersten Ehrenmitglied. Der Geehrte bedankte sich ebenso wohlwollend wie unmissverständlich: »An dem schönen Ziele, an der Wiederherstellung der Reinheit unserer herrlichen Muttersprache mitzuwirken, wird mir stets eine Freude sein.« Doch nicht nur das. 1889 schrieb Stephan einen kleinen Beitrag über die Sauce, die letztlich kein Fremdwort sei, weil sie auf salsa zurückgehe, ein mittelalterliches deutsches Wort, das direkt aus dem Indogermanischen stamme und damit aus derselben Wurzel wie das französische Wort. Das war eine problematische, wenn auch durch den Rückgriff auf die Indogermanistik wissenschaftliche Argumentation, die gnädig oder auch hilflos darüber hinwegsah, dass die »Salse« eben doch nachweislich aus dem Französischen übernommen worden war, genauso wie in einer zweiten Entlehnungsphase die »Sauce«. Doch dieser durch und durch gebildete Postler wollte nun einmal zeigen, dass er sein sprachliches Hobby auch auf höherem Niveau betreiben konnte.

Stephan, daran besteht kein Zweifel, fühlte sich wohl im Reich der Sprachreiniger und war dem in diesem Zeichen tätigen Verein gewogen. Mit etwas viel Pathos oder auch typisch wilhelminischem Schwulst rief er in seinem Vortrag Die Fremdwörter seinen Hörern zu: »Lassen Sie uns mit deutschem Ernst und deutscher Ausdauer, eingedenk unserer Pflicht, an dem vaterländischen Werke entschlossen fortarbeiten: jeder an seinem Teil in dem, was er spricht und schreibt, in Haus und Beruf, im Freundesverkehr wie in der Kindererziehung ( ...). Vom Flitterstaate befreit, wird die lichtvolle Verkünderin des deutschen Geistes ihre Strahlen verbreiten in alter Kraft und Herrlichkeit.«

Der Mann, der wie kaum ein anderer seiner Zeit für Globalisierung stand, stand zugleich für die Pflege der deutschen Sprache als Grundlage des nationalen Zusammenhalts, vor allem in der höchst praktischen Version einer einheitlichen Postsprache. Als Preuße, der der Reichsgründung so viel verdankte, wusste er, was Einheit bedeutete, und war bereit, sie als nationale genauso wie als internationale zu vertreten und zu verteidigen, als Einheitsporto genauso wie als Einheitssprache. In welche Enge dies einmal führen würde, ja, dass das Fremdwort gar der Kern allen sozialen und politischen Übels sein sollte, wird er nicht erahnt haben. Es gab ihn noch, den Nationalismus oder, besser gesagt, den Patriotismus ohne Misere. Doch nicht mehr lange.

CHAPTER 2

»Hochemotionalisierter Rauschzustand«

1885

Als Herman Riegel 1885 den Allgemeinen Deutschen Sprachverein gründete, befand sich Deutschland immer noch in einem »hochemotionalisierten Rauschzustand«, wie Hans-Ulrich Wehler im 3. Band seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte bemerkt (an deren Kapitel zum Bürgertum ich im Folgenden anschließe). Das auslösende Ereignis lag nunmehr vierzehn Jahre zurück und bestand im Erringen der Einheit. Deutschland war nun Nationalstaat geworden, so wie die umliegenden Länder, die es meist schon lange vorher geschafft hatten: England und Frankreich vorneweg, zuletzt besonders spektakulär und daher als wichtigstes unmittelbares Vorbild Italien mit seinem risorgimento, der Wiedergeburt alter Größe.

Aber was bedeutete das nun, Nationalstaat? Ein Nationalstaat ist dem Wortsinn nach ein Staat, der sich auf eine Nation und nicht zum Beispiel auf eine Dynastie gründet, so wie umgekehrt eine Nation nach einem Staat verlangt. Kaum jemand sah darin das Fiktive, ja die meisten waren nur zu gerne bereit, die Fiktion zu ignorieren. Denn worin genau sollte die Nation eigentlich bestehen? Wieso gehörten die Bürger in ÖsterreichUngarn nicht dazu, im Baltikum, in den Enklaven Ost- beziehungsweise Südosteuropas, wo zusammengenommen mehr als 24 Millionen Deutschsprachige lebten – wo es doch gerade die deutsche Sprache war, die immer als besonders wichtiger Grund für die Einheit genannt wurde? Und wer war eigentlich der Gründer und damit der Verantwortliche dieses Nationalstaats? Die Bürger hatten es 1848/49in der Frankfurter Paulskirche nicht geschafft, ihn herbeizuführen, die Einheit war von oben gekommen, in einem Krieg, in dem der König und der Adel die Führung besaßen. Wieso dann der Jubel gerade bei den Bürgern, die sich mit einer Verfassung zufriedengeben mussten, die ihre Rechte einengte und ihre Beteiligung auf ein Parlament beschränkte, das nur bei der Steuer wirklich mitreden durfte?

Man kennt die wichtigste Antwort auf diese Fragen: Jeder sah, wie viel reibungsloser Nationalstaaten funktionierten, wie gut organisierte Wehr- und Wirtschaftsverbände das Wohl aller besser befriedigen konnten, als es kleinteilige Herrschaften mit ihren vielen Barrieren beim Zusammenwirken vermochten. Engländer und Franzosen hatten sich gerade die Welt aufgeteilt – die Engländer waren zuletzt erfolgreicher, als sie nach dem Bau des Sueskanals Ägypten den Franzosen wegschnappten. Deutschland war bei alldem lange Zeit, bis zur Aufteilung Südafrikas auf der Kongokonferenz in Berlin 1884/85, bloß Zuschauer gewesen. Ein Zuschauer wie Stephan, der bei der Eröffnung des Kanals als Generalpostmeister zu den eingeladenen Gästen gehört hatte und anschließend ein Buch über das moderne Ägypten schrieb. Wer wirkliche Erfolge haben wollte, musste mitmachen: bei der Ausgestaltung eines Staates, der seine Kräfte aus einer Nation bezog; bei der Vergrößerung zum Imperium, das nur mithilfe einer Nation gewonnen werden konnte.

(Continues…)


Excerpted from "Die Sprachreiniger"
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Table of Contents

Über das Buch und den Autor,
Titelseite,
Impressum,
Prolog,
»Pulver, Brot und Briefe waren die drei Hauptbedürfnisse«,
»Hochemotionalisierter Rauschzustand«,
»Lametta«,
»Entsetzlich viel Mühe und Arbeit gemacht«,
»Kriegserklärung gegen die französischen Eindringlinge«,
»Abort«,
»Nur der tief Gebildete kann Sprachreinigung üben«,
»Mir fällt im Augenblick kein entsprechendes deutsches Wort ein«,
»Blitzlicht« und »Drahtgruß«,
»Unsere Altvorderen machten nicht viel Federlesens mit den fremden Ausdrücken«,
»Fühlen die Unterzeichneten sich gedrungen, öffentlich zu erklären, daß sie solche Bevormundung entschieden zurückweisen«,
»Giro«,
»Wer es mit der deutschen Kultur überhaupt ernst nimmt, der stößt dabei auf die mannigfaltigsten fremden Einflüsse«,
»Kein ehrlicher deutscher Mann kann das Bestreben rügen, echtgermanische Wörter vor Entfremdung und Entwendung zu bewahren«,
»Signet«,
»Überhandnehmende Sprachverseuchung im Gasthofs- und Vergnügungswesen«,
»Um die Reinheit der Sprache in Meinem Heere zu fördern«,
»Gymnastik«,
»Von dem widerwärtigen Zustande, der ein Schandfleck ist auf dem Schilde deutscher Ehre«,
»Franzosen und Amerikaner denken nicht daran, internationalen Rücksichten ihre Muttersprache zu opfern«,
»Stahlskelettbau«,
»Vollständig berechtigt, anstatt der verwelschten Sauce das Wort Salse zu brauchen«,
»Auch in dieser Spracherscheinung treten die alten Erbfehler des deutschen Volkes hervor«,
»Stadion«,
»Das Fremdwort als Zeichen nationaler Stumpfheit und sprachlicher Versumpfung«,
»Wieder einmal vom e«,
»Knäckebrot«,
»Weltbewährungsprobe deutscher Innerlichkeit«,
»Die Saat, die der Allgemeine Deutsche Sprachverein ausgestreut hat, ist herrlich aufgegangen«,
»telephonieren«,
»Unter dem befreienden Einfluß des Krieges wagt hier mancher eine Änderung in unserm Sinne«,
»Die Fremdwortverketzerung kommt den dunkelsten Instinkten des unwissenden Rohlings entgegen«,
»Moral«,
»Im deutschen Verfassungsgesetz überhaupt kein Platz für irgendwelche Undeutschheiten«,
»Recht juristisches Deutsch«,
»Autofriedhof«,
»Diese hochgelehrten Herren können gar nicht mehr einfach sachlich denken und sich deutsch ausdrücken«,
»Philosophie ist der systematische Mißbrauch einer eigens hierzu erfundenen Terminologie«,
»ratifiziert«,
»Die Fremdwörterei steht immer noch in Blüthe«,
»Was kann widersinniger sein als Allegro, welches ein für alle Mal lustig heißt?«,
»Jazz«,
»Neben dem fetten Praha kaum halb so groß und in Klammern das dünne Prag«,
»Der Gesamtverein und seine Zweigvereine sind nun durch die Wahl des Vorsitzers nationalsozialistischer Führung unterstellt«,
»Sterilisation« und »Kastration«,
»Der Deutsche Sprachverein ist die SA unserer Muttersprache«,
»Schon aber hat die amtliche Sprachpflege begonnen«,
»Rückwärtse«,
»Von der überfremdeten, entleerten Allerweltslässigkeit zum deutsch-volkhaften Ursprünglichkeitswort«,
»Blut und Boden, Rasse und Seele gelangen zum Ausdruck in dem Wunderwerk der deutschen Sprache«,
»Fernseher«,
»Die welschen Vornamen müssen wieder verschwinden«,
»London vielleicht bald nur noch ein stinkender Trümmerhaufen«,
»Heimaturlaub«,
Epilog,
Dank,
Literaturverzeichnis,
Feedback an den Verlag,
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