Die Stadt der Betruger
Die Stadt der Betrüger – Ein moderner Schildbürgerstreich

Ich hatte von einer Stadt gelesen, die vor der Wahl stand, ihr Rathaus teuer zu restaurieren oder - noch teurer - neu zu bauen, und für beide Lösungen nicht das Geld hatte. Daraus wurde die Idee geboren, die Bürger aufzufordern beziehungsweise ihnen anzubieten, Anteile am Wert des Rathauses zu erwerben.
Dies war die Keimzelle meiner Idee. Allerdings wollte ich den Bürgern die ganze Stadt verkaufen.

Wir hatten einen Plan, zu seiner Durchführung war es erforderlich, dass einer von uns zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde.
Natürlich waren wir uns darüber im klaren, dass bis dahin noch viel Wasser die Eider hinunterfließen würde.
Viele Schritte waren nötig, um dieses Ziel zu erreichen:
Die Gründung einer neuen "Bewegung".
Die Gründung einer Zeitung, um die neue "Bewegung" bekannt werden zu lassen und tonnenweise Schmutz über den politischen Gegner ausschütten zu können.
Die Gewinnung von Mitgliedern.
Die Beteiligung an den nächsten Kommunalwahlen.
Die Entsendung von Mitgliedern in die Ratsversammlung und schließlich die Erringung der Mehrheit im Rat oder jedenfalls die Erreichung des Status eines Züngleins an der Waage, um bei der nächsten Bürgermeisterwahl ein entscheidendes Wort mitreden zu können.

Blieb dabei nicht die Moral auf der Strecke? Mitnichten. Ich hatte meine persönliche Moral, und die hieß: Jeder Handel ist ehrenwert, außer der mit der eigenen Seele.

Und letztlich wollten sie alle betrogen werden, irgendwie. In jedem von uns steckt (mehr oder weniger verborgen) der Wunsch, der Vater des Gedankens ist. Eine Haltung, die - wie vieles - im Englischen kürzer und prägnanter mit "wishful thinking" bezeichnet wird.
Natürlich hatten einige wirklich etwas zu verlieren. Die Politiker die Futterkrippe und die Notabeln Amt und Würde und damit ihre Bedeutung. In der Brust der Banker wohnten dagegen, wie so oft, zwei Seelen. Sie witterten ein großes Geschäft, und doch sagte ihnen ihr Instinkt, dass etwas an dem Braten, den sie schnupperten, ihnen Magenschmerzen bereiten könnte. Aber nach mehr oder weniger langem Kampf mit ihrer besseren Einsicht siegte in der Regel ihre Habgier, die selten ausgeprägter anzutreffen ist als bei einem Banker.

Es gibt kein Nadelöhr, das für einen gut angelegten Betrug zu klein ist: Ein guter Betrug war wie die Fälschung eines flämischen Meisters, die unentdeckt den Namen des Fälschers trug und dadurch juristisch in den Rang einer Kopie sank, aber wie das Original bezahlt wurde.

Wir gründeten die "Stadt AG", nachdem wir im Rat die Mehrheit hatten. In einer denkwürdigen Sitzung der Ratsversammlung wurde sie unter dem Punkt "Privatisierung" mit unseren Stimmen aus der Taufe gehoben. Sie sollte den Bürgern die Möglichkeit geben, in Form von Aktien Mitbesitzer ihrer eigenen Stadt zu werden. Ihr Gründungskapital wurde dem Investitionshaushalt der Stadt für das nächste Jahr entnommen, und auf der letzten Sitzung der Ratsversammlung, auf der diese ihre Auflösung beschloss, wurden gleichzeitig Vorstand und Aufsichtsrat der "Stadt AG" gewählt. Ich übernahm das Amt des Vorstandssprechers, Dieter wurde mein Stellvertreter, Norbert übernahm das wichtige Amt des Finanzvorstands, und Jürgen wurde zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt.
Wir genehmigten uns ein angemessenes Jahreseinkommen, übertrugen die laufenden Geschäfte der "Stadt AG" unseren rechtlichen Vertretern und meldeten uns mit unseren Familien (soweit vorhanden) zu einem mehrwöchigen Hochseeangeltrip auf die Bahamas ab, nachdem wir für alle Eventualitäten (den Bannstrahl des Innenministers und seiner Verwaltungsjuristen hatten wir vorhergesehen) dadurch vorgesorgt hatten, dass wir einen Teil der Einnahmen aus dem Aktienverkauf der "Stadt AG" unter dem Titel "Mündelsichere Reinvestition als hochverzinsliche Anlage" bei einer zuverlässigen (das heißt sich um Recht und Gesetz wenig kümmernden) Bank auf den Cayman-Inseln angelegt hatten
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Die Stadt der Betruger
Die Stadt der Betrüger – Ein moderner Schildbürgerstreich

Ich hatte von einer Stadt gelesen, die vor der Wahl stand, ihr Rathaus teuer zu restaurieren oder - noch teurer - neu zu bauen, und für beide Lösungen nicht das Geld hatte. Daraus wurde die Idee geboren, die Bürger aufzufordern beziehungsweise ihnen anzubieten, Anteile am Wert des Rathauses zu erwerben.
Dies war die Keimzelle meiner Idee. Allerdings wollte ich den Bürgern die ganze Stadt verkaufen.

Wir hatten einen Plan, zu seiner Durchführung war es erforderlich, dass einer von uns zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde.
Natürlich waren wir uns darüber im klaren, dass bis dahin noch viel Wasser die Eider hinunterfließen würde.
Viele Schritte waren nötig, um dieses Ziel zu erreichen:
Die Gründung einer neuen "Bewegung".
Die Gründung einer Zeitung, um die neue "Bewegung" bekannt werden zu lassen und tonnenweise Schmutz über den politischen Gegner ausschütten zu können.
Die Gewinnung von Mitgliedern.
Die Beteiligung an den nächsten Kommunalwahlen.
Die Entsendung von Mitgliedern in die Ratsversammlung und schließlich die Erringung der Mehrheit im Rat oder jedenfalls die Erreichung des Status eines Züngleins an der Waage, um bei der nächsten Bürgermeisterwahl ein entscheidendes Wort mitreden zu können.

Blieb dabei nicht die Moral auf der Strecke? Mitnichten. Ich hatte meine persönliche Moral, und die hieß: Jeder Handel ist ehrenwert, außer der mit der eigenen Seele.

Und letztlich wollten sie alle betrogen werden, irgendwie. In jedem von uns steckt (mehr oder weniger verborgen) der Wunsch, der Vater des Gedankens ist. Eine Haltung, die - wie vieles - im Englischen kürzer und prägnanter mit "wishful thinking" bezeichnet wird.
Natürlich hatten einige wirklich etwas zu verlieren. Die Politiker die Futterkrippe und die Notabeln Amt und Würde und damit ihre Bedeutung. In der Brust der Banker wohnten dagegen, wie so oft, zwei Seelen. Sie witterten ein großes Geschäft, und doch sagte ihnen ihr Instinkt, dass etwas an dem Braten, den sie schnupperten, ihnen Magenschmerzen bereiten könnte. Aber nach mehr oder weniger langem Kampf mit ihrer besseren Einsicht siegte in der Regel ihre Habgier, die selten ausgeprägter anzutreffen ist als bei einem Banker.

Es gibt kein Nadelöhr, das für einen gut angelegten Betrug zu klein ist: Ein guter Betrug war wie die Fälschung eines flämischen Meisters, die unentdeckt den Namen des Fälschers trug und dadurch juristisch in den Rang einer Kopie sank, aber wie das Original bezahlt wurde.

Wir gründeten die "Stadt AG", nachdem wir im Rat die Mehrheit hatten. In einer denkwürdigen Sitzung der Ratsversammlung wurde sie unter dem Punkt "Privatisierung" mit unseren Stimmen aus der Taufe gehoben. Sie sollte den Bürgern die Möglichkeit geben, in Form von Aktien Mitbesitzer ihrer eigenen Stadt zu werden. Ihr Gründungskapital wurde dem Investitionshaushalt der Stadt für das nächste Jahr entnommen, und auf der letzten Sitzung der Ratsversammlung, auf der diese ihre Auflösung beschloss, wurden gleichzeitig Vorstand und Aufsichtsrat der "Stadt AG" gewählt. Ich übernahm das Amt des Vorstandssprechers, Dieter wurde mein Stellvertreter, Norbert übernahm das wichtige Amt des Finanzvorstands, und Jürgen wurde zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt.
Wir genehmigten uns ein angemessenes Jahreseinkommen, übertrugen die laufenden Geschäfte der "Stadt AG" unseren rechtlichen Vertretern und meldeten uns mit unseren Familien (soweit vorhanden) zu einem mehrwöchigen Hochseeangeltrip auf die Bahamas ab, nachdem wir für alle Eventualitäten (den Bannstrahl des Innenministers und seiner Verwaltungsjuristen hatten wir vorhergesehen) dadurch vorgesorgt hatten, dass wir einen Teil der Einnahmen aus dem Aktienverkauf der "Stadt AG" unter dem Titel "Mündelsichere Reinvestition als hochverzinsliche Anlage" bei einer zuverlässigen (das heißt sich um Recht und Gesetz wenig kümmernden) Bank auf den Cayman-Inseln angelegt hatten
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Die Stadt der Betruger

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Ich hatte von einer Stadt gelesen, die vor der Wahl stand, ihr Rathaus teuer zu restaurieren oder - noch teurer - neu zu bauen, und für beide Lösungen nicht das Geld hatte. Daraus wurde die Idee geboren, die Bürger aufzufordern beziehungsweise ihnen anzubieten, Anteile am Wert des Rathauses zu erwerben.
Dies war die Keimzelle meiner Idee. Allerdings wollte ich den Bürgern die ganze Stadt verkaufen.

Wir hatten einen Plan, zu seiner Durchführung war es erforderlich, dass einer von uns zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde.
Natürlich waren wir uns darüber im klaren, dass bis dahin noch viel Wasser die Eider hinunterfließen würde.
Viele Schritte waren nötig, um dieses Ziel zu erreichen:
Die Gründung einer neuen "Bewegung".
Die Gründung einer Zeitung, um die neue "Bewegung" bekannt werden zu lassen und tonnenweise Schmutz über den politischen Gegner ausschütten zu können.
Die Gewinnung von Mitgliedern.
Die Beteiligung an den nächsten Kommunalwahlen.
Die Entsendung von Mitgliedern in die Ratsversammlung und schließlich die Erringung der Mehrheit im Rat oder jedenfalls die Erreichung des Status eines Züngleins an der Waage, um bei der nächsten Bürgermeisterwahl ein entscheidendes Wort mitreden zu können.

Blieb dabei nicht die Moral auf der Strecke? Mitnichten. Ich hatte meine persönliche Moral, und die hieß: Jeder Handel ist ehrenwert, außer der mit der eigenen Seele.

Und letztlich wollten sie alle betrogen werden, irgendwie. In jedem von uns steckt (mehr oder weniger verborgen) der Wunsch, der Vater des Gedankens ist. Eine Haltung, die - wie vieles - im Englischen kürzer und prägnanter mit "wishful thinking" bezeichnet wird.
Natürlich hatten einige wirklich etwas zu verlieren. Die Politiker die Futterkrippe und die Notabeln Amt und Würde und damit ihre Bedeutung. In der Brust der Banker wohnten dagegen, wie so oft, zwei Seelen. Sie witterten ein großes Geschäft, und doch sagte ihnen ihr Instinkt, dass etwas an dem Braten, den sie schnupperten, ihnen Magenschmerzen bereiten könnte. Aber nach mehr oder weniger langem Kampf mit ihrer besseren Einsicht siegte in der Regel ihre Habgier, die selten ausgeprägter anzutreffen ist als bei einem Banker.

Es gibt kein Nadelöhr, das für einen gut angelegten Betrug zu klein ist: Ein guter Betrug war wie die Fälschung eines flämischen Meisters, die unentdeckt den Namen des Fälschers trug und dadurch juristisch in den Rang einer Kopie sank, aber wie das Original bezahlt wurde.

Wir gründeten die "Stadt AG", nachdem wir im Rat die Mehrheit hatten. In einer denkwürdigen Sitzung der Ratsversammlung wurde sie unter dem Punkt "Privatisierung" mit unseren Stimmen aus der Taufe gehoben. Sie sollte den Bürgern die Möglichkeit geben, in Form von Aktien Mitbesitzer ihrer eigenen Stadt zu werden. Ihr Gründungskapital wurde dem Investitionshaushalt der Stadt für das nächste Jahr entnommen, und auf der letzten Sitzung der Ratsversammlung, auf der diese ihre Auflösung beschloss, wurden gleichzeitig Vorstand und Aufsichtsrat der "Stadt AG" gewählt. Ich übernahm das Amt des Vorstandssprechers, Dieter wurde mein Stellvertreter, Norbert übernahm das wichtige Amt des Finanzvorstands, und Jürgen wurde zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt.
Wir genehmigten uns ein angemessenes Jahreseinkommen, übertrugen die laufenden Geschäfte der "Stadt AG" unseren rechtlichen Vertretern und meldeten uns mit unseren Familien (soweit vorhanden) zu einem mehrwöchigen Hochseeangeltrip auf die Bahamas ab, nachdem wir für alle Eventualitäten (den Bannstrahl des Innenministers und seiner Verwaltungsjuristen hatten wir vorhergesehen) dadurch vorgesorgt hatten, dass wir einen Teil der Einnahmen aus dem Aktienverkauf der "Stadt AG" unter dem Titel "Mündelsichere Reinvestition als hochverzinsliche Anlage" bei einer zuverlässigen (das heißt sich um Recht und Gesetz wenig kümmernden) Bank auf den Cayman-Inseln angelegt hatten

Product Details

BN ID: 2940158900440
Publisher: Peter Schoenau
Publication date: 02/21/2018
Sold by: Barnes & Noble
Format: eBook
File size: 273 KB
Language: German

About the Author

Peter Schoenau wurde am 19.12.1944 in Rendsburg, Schleswig-Holstein, geboren.
Nach Besuch der Mittelschule und Ausbildung zum Großhandelskaufmann auf einem Schlachthof meldete sich Peter Schönau freiwillig zur Marine und durchlief die Offiziersausbildung bis zum Fähnrichslehrgang an der Marineschule Mürwik. Er verließ die Marine noch während des Lehrgangs auf eigenen Wunsch und ging für eine deutsche Firma nach La Paz, Bolivien. Nach seiner Rückkehr arbeitete er bei mehreren Unternehmen im Export und als Übersetzer und machte sich Anfang der 70er Jahre als Übersetzer selbständig.
1993 ließ er sich in Italien nieder, wo er seitdem als Übersetzer und Autor arbeitet.
Von 2005 bis 2010 hielt er sich überwiegend in Buenos Aires auf, seit Sept. 2010 ist Coimbra, Portugal, sein zweiter Wohnsitz
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