In tödlicher Stille: Kriminalroman

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Overview

Beim Joggen im Park werden Clare Riordan und ihr Sohn Mikey entführt. Der zehnjährige Junge kann sich befreien, aber seine Mutter ist spurlos verschwunden. Die Londoner Polizei versucht vergeblich, Mikey zu befragen, um Clare zu finden -ihr einziger Zeuge ist verstummt. Nur Kriminalpsychologin Alice Quentin könnte es mit ihrer einfühlsamen Art gelingen, langsam das Vertrauen des Jungen zu gewinnen. Doch die Zeit drängt: Eine Blutspur deutet darauf hin, dass Clare nicht mehr lange leben wird.


Product Details

ISBN-13: 9783843716956
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 04/06/2018
Series: Ein Alice-Quentin-Thriller , #5
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 480
File size: 1 MB
Language: German

About the Author

Kate Rhodes wurde in London geboren. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und lehrte an amerikanischen und britischen Universitäten. Sie lebt in Cambridge, am Ufer des Flusses, für dessen Erkundung sie sich extra ein Kanu zugelegt hat. In tödlicher Stille ist der fünfte Band der erfolgreichen Krimiserie um Psychologin Alice Quentin.

Kate Rhodes wurde 1964 in London geboren. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und lehrte jahrelang an amerikanischen und britischen Universitäten. Für ihre Lyrik wird sie von der Presse hoch gelobt und erhält regelmäßig Preise. Sie lebt in Cambridge, am Ufer des Flusses, für dessen Erkundung sie sich extra ein Kanu zugelegt hat. Ihre Serie um die Kriminalpsychologin Alice Quentin ist eine der größten Entdeckungen im englischen Kriminalroman.


Corinna Rodewald studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf. Seit 2009 lebt sie als Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen sowie als freie Lektorin in Berlin. Für die Ullstein Buchverlage übertrug sie unter anderem Chanel Miller, Michelle Zauner, Rona Jaffe und Philippe Georget ins Deutsche.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Samstag, 11. Oktober

Die Bäume im Clapham Common leuchten in flammenden Herbstfarben. Ein Mann und eine Frau auf einer Parkbank halten sich an den Händen und sehen zu, wie sich die Blätter in der frühen Morgensonne von Rot zu Gold verfärben. Sie sitzen in einem verlassen daliegenden Wäldchen, der Pfad vor ihnen ist von Haselnusssträuchern überwuchert.

»Vielleicht kommen sie ja gar nicht«, sagt der Mann. Die Kälte zehrt bereits an seinen Kräften.

»Gib ihnen noch ein bisschen Zeit. Du bekommst doch nicht etwa Panik?«

»Natürlich nicht. Schließlich war es meine Idee.«

Sie beugt sich zu ihm, um ihn zu küssen, ihr Gesicht ist halb im Schatten vom Kragen ihres schwarzen Wollmantels verborgen, doch der intime Augenblick ist schnell vorüber. Schritte ertönen auf dem Kies, und der Mann lehnt sich angespannt vor – jemand kommt durch die Bäume in ihre Richtung gerannt.

»Jetzt«, flüstert er. »Jetzt bringen wir es wieder in Ordnung.«

Die erste Joggerin ist eine schlanke Frau mit braunen Haaren in einem blauen Trainingsanzug. Ein Junge läuft ihr hinterher, er lacht und wirkt völlig unbeschwert, sein Sweatshirt flattert im Wind um seine schmale Statur. Der Mann tritt aus dem Schatten hervor und packt die Joggerin von hinten; sie wehrt sich heftig, ein Ausdruck erstaunten Wiedererkennens erscheint auf ihrem Gesicht. Sie stößt ihm ihren Ellbogen in die Rippen, während sie dem Jungen zuruft, dass er wegrennen soll, doch die Frau hat ihn bereits geschnappt. Um sich schlagend sinkt er zu Boden, seine schmale Gestalt sackt in sich zusammen, als er das Betäubungsmittel einatmet, eine Augenbinde bedeckt sein Gesicht. Auch seiner Mutter wird ein mit Chloroform getränkter Wattebausch unter die Nase gedrückt, bevor sie sie ins Farngestrüpp schleifen.

Das Paar hievt die beiden leblosen Körper auf den Rücksitz ihres von dichtem Blattwerk getarnten Autos. Mit zitternden Händen deckt der Mann sie zu. Die Frau setzt sich hinters Steuer. Der morgendliche Verkehr ist stärker geworden. Die gefährlichste Etappe ist vorüber; jetzt müssen sie Mutter und Sohn nur noch ins Labor bringen. Der Mann späht noch einmal unter die Decke; Clare Riordans Gesicht ist wachsbleich, der Junge liegt zusammengerollt hinterm Fahrersitz. Der Mann lässt seinen Blick über die Straße vor ihnen schweifen.

»Nicht mehr weit, gleich sind wir da.« Wie ein Mantra wiederholt er die Worte.

Auf einer Seitenstraße kurz vor dem Ziel versperrt ihnen ein Lieferwagen den Weg. Doch als der Mann sich umschaut, bemerkt er eine Bewegung. Durch die Heckscheibe sieht er, wie der Junge über den Asphalt rennt.

»Verdammt«, zischt die Frau. »Ich dachte, die Türen wären verriegelt.«

Mit dumpf schlagendem Herzen stürzt der Mann aus dem Auto. Seine Haut fühlt sich fiebrig an. Der Junge ist verschwunden. Der Mann lässt seinen Blick über Häuser und menschenleere Vorgärten schweifen. An der Kreuzung bleibt er schwer atmend und frustriert stehen. Gott sei Dank hat der Junge ihre Gesichter nicht gesehen. Die Mutter werden sie töten, sobald sie ihnen die benötigten Informationen geliefert hat, doch ihren Sohn haben sie verloren.

CHAPTER 2

Montag, 13. Oktober

In der Stadt roch es nach Lagerfeuern und faulendem Laub. Um acht Uhr früh Mitte Oktober war die Luft kalt genug, dass mein Atem Wölkchen vor meinem Mund bildete, als ich die Carlton Street entlangging, auf der die anderen Fußgänger stramm marschierten, um sich warm zu halten. Mir war mulmig bei der Vorstellung, mein erstes Teammeeting in der Rechtspsychologie zu leiten. Vor anderen zu sprechen war für mich immer mit an Panik grenzender Aufregung verbunden. Obwohl ich eine jahrelange psychologische Ausbildung hinter mir hatte, rechnete ich immer noch damit, dass meine ganze Professionalität wie weggeblasen war, sobald ich einer Menschenansammlung gegenüberstand.

Ich hatte mein Outfit mit ungewöhnlicher Sorgfalt ausgesucht: ein dunkelgraues Kleid von Jigsaw, schlichte hochhackige Stiefel, hochgesteckte Haare. Das Ensemble entsprach eher der strengen Version von schick, doch ich hatte es mit einem unverschämt teuren Hermès-Schal aufgelockert. Auftritte im Karrierelook waren ein Trick, den ich schon seit Jahren anwandte. Mit einer Körpergröße von einem Meter fünfzig, blonden Haaren und fünfundvierzig Kilo war ich leicht zu übersehen. Obwohl ich vierunddreißig war, behandelten mich Fremde nicht selten wie ein Kind.

Als ich auf der Dacre Street ankam, zog ich meinen iPod aus der Tasche, aus dem Scott Matthews' sanfte Stimme mich beruhigte. Der große Brownstone, in dem sich die Rechtspsychologie der Metropolitan Police befand, war so unauffällig, dass man ihn kaum wahrnahm. Er sah aus wie jedes andere schicke Wohnhaus in St James's Park. Nichts wies darauf hin, dass dort zwölf Psychologen damit beschäftigt waren, die schlimmsten Morde, Vergewaltigungen und Fälle organisierten Verbrechens des Landes zu lösen.

Die Frau am Empfang schenkte mir ein mitfühlendes Lächeln. Es war kein Geheimnis, dass einige der älteren Kollegen gegen meine Ernennung gewesen waren. Jahrzehntelang war die Leitung der Rechtspsychologie mit Christine Jenkins an der Spitze unverändert geblieben. Christine hatte einen Weltklasseruf, folgte jedoch ihren eigenen mysteriösen Regeln. In so einem geschlossenen System war jeder Neuling eine potenzielle Bedrohung des Status quo.

Als ich die Treppe erklomm, schlug mir der eigentümliche Geruch des Gebäudes entgegen: Möbelpolitur, Staub und Geheimnisse. Der Teppich auf den Gängen war abgewetzt, und an den Wänden hingen Fotografien der Pioniere aus den glücklichen Zeiten der Psychoanalyse: Carl Jung, Freud, Melanie Klein. Am liebsten hätte ich das gesamte Gebäude entkernt und jedes einzelne Fenster vergrößert, damit mehr Licht hereinfiel, aber diese Möglichkeit hatte ich nicht. Mein Büro war ein kleines, an das Großraumbüro der anderen Mitarbeiter angrenzendes Vorzimmer, doch ich war stolz auf meinen neuen Titel an der Tür: »Stellvertretende Leiterin«. Für die meisten forensischen Psychologen war die Rechtspsychologie der Met so etwas wie der Heilige Gral. Hier tat man an führender Stelle der Kriminalpsychologie Dienst, und das mit der neuesten Software des Innenministeriums.

Ich sah gerade ein letztes Mal die Tagesordnung durch, als es an meine Tür klopfte. Ohne meine Antwort abzuwarten, kam meine Chefin herein. Christine sah dünner als sonst, als wäre sie zu oft im Fitnessstudio gewesen. Ihre akkurate Bobfrisur passte zu ihrem nüchtern eleganten Outfit: schwarze Hose, weiße Seidenbluse, dezente Perlenohrringe.

»Bereit für den Ring, Alice?«

»Mehr oder weniger.«

»Lassen Sie uns nachher bei Enzo einen Kaffee trinken, dann feiern wir Ihren neuen Posten. Ich muss auch noch etwas mit Ihnen besprechen.«

Diese Art von kryptischer Ankündigung war typisch für Christine, bei der jeder Satz ein zweischneidiges Schwert sein konnte. Wir kannten uns seit einem Jahr, und ich war mittlerweile davon überzeugt, dass sie ihre Berufung verfehlt hatte – mit ihrer geheimnisvollen Aura hätte sie die perfekte Spionin abgegeben.

Zwanzig Kollegen saßen im Besprechungsraum um den großen Tisch versammelt. Mein Mund war wie ausgetrocknet; der Großteil der Psychologen hier war international anerkannt, und im Schnitt waren sie fünfzehn Jahre älter als ich. Einzig Mike Donnelly, der mit seinen weißen Haaren, dem Rauschebart und der stämmigen Statur aussah wie der Weihnachtsmann, bedachte mich mit einem Lächeln. Außer Christine war der unerschütterliche Ire auch der einzige Kollege gewesen, der mir zu meiner neuen Stelle gratuliert hatte.

Mein erster Tagesordnungspunkt wurde schweigend aufgenommen, doch trotz der steifen Atmosphäre trugen die meisten etwas zur Diskussion bei. Ich bemühte mich um eine ungezwungene Stimmung und versuchte sogar einen Witz über die Launen der Psychologie. Am Ende sahen die meisten meiner Kollegen erleichtert aus, doch als sie den Raum verließen, entdeckte ich mehr lächelnde Gesichter, als ich erwartet hätte. Nur eine Kollegin verweilte noch einen Augenblick. Joy Anderson hatte seit meiner Ernennung kaum ein Wort mit mir gewechselt. Sie trug eine üppig verzierte hochgeschlossene Bluse, ihre Miene war eine Mischung aus Trübsal und Feindseligkeit, und sie hatte sich die langen grauen Haare streng aus dem Gesicht gebunden.

»Ich war nicht da, als man Sie ernannt hat, Dr. Quentin. Ich hoffe, es wird Ihnen bei uns gefallen. Leider weiß ich gar nichts über Ihren beruflichen Hintergrund.«

»Vielen Dank für den Empfang«, sagte ich mit einem Lächeln. »Meine letzte Stelle war am Guy's Hospital. Ich habe zu gewalttätigen Persönlichkeitsstörungen und Psychopathologie in der Kindheit geforscht.«

»Und Sie haben an einigen Fällen von großem öffentlichen Interesse mitgearbeitet?« »Vier erfolgreiche Morduntersuchungen. Warum kommen Sie nicht mal nachmittags bei mir im Büro vorbei, dann können wir uns ein wenig unterhalten. Ich würde gern mehr über Ihr Forschungsgebiet erfahren.«

Dr. Anderson wich meinem Blick nicht aus. »Verzeihen Sie, dass ich es so sage, aber Sie scheinen mir noch recht unerfahren, um eine so komplexe Einrichtung zu leiten.«

»Die Leiterin ist immer noch Christine. Als ihre Stellvertreterin kümmere ich mich um die Zuweisung von Fällen und Mitteln. Jetzt sollte ich Sie aber zurück an Ihre Arbeit gehen lassen. Und vereinbaren Sie gern einen Termin für ein längeres Gespräch, wenn Sie die Zeit dafür haben.«

Sie nickte knapp und verließ den Raum. Auf dem Flur standen die Mitarbeiter noch in Grüppchen zusammen und plauderten. Sie wirkten wie eine über die Zeit zu einer Einheit verschmolzene Gruppe. Es könnte Monate dauern, bis ich ihre Abwehr durchbrochen hatte. Ich kehrte in mein Büro zurück, doch niemand klopfte an die Tür, während ich mich mit meinem neuen Computer anzufreunden versuchte.

Bei Enzo war es menschenleer, als ich um elf dort eintraf. Schon von Weitem konnte ich Christines Anspannung daran erkennen, wie sie die Schultern hochzog, während sie in einen Bericht vertieft dasaß. Als ich bei ihr war, schlug sie die Mappe abrupt zu, und ihr Lächeln war professionell kühl. Ich war immer noch nicht sicher, ob unter all dem sang-froid auch ein Mensch steckte.

»Dr. Anderson ist nicht gerade ein Fan von mir, oder?«

»Joy mag einfach keine Veränderungen, das ist alles. Das wird schon.«

»Hoffentlich lässt sie sich nicht zu lange Zeit damit. Sie machen doch sonst nie Pause, Christine, es geht wohl um etwas Wichtiges.«

»Hier können wir ungestört reden. Bestellen wir, dann erkläre ich es Ihnen.«

Informelle Gespräche verunsicherten sie offensichtlich. Unsere Unterhaltungen blieben immer im strikt professionellen Rahmen, sodass ich keine Ahnung hatte, ob Christine allein oder mit jemandem zusammenlebte. Tiefes Schweigen hatte sich zwischen uns ausgebreitet, als endlich unsere Getränke kamen. Christine nippte an ihrem Espresso, während ich darauf wartete, dass sie mir verkündete, sie habe einen Verdienstorden bekommen oder sei ins Innenministerium befördert worden. Stattdessen schob sie mir einen Schnellhefter über den Tisch zu.

»Ich will, dass Sie diesen Fall übernehmen, Alice.«

Ich überflog die erste Seite. »Die Angelegenheit ist doch landesweit in den Nachrichten. Die Frau ist am Wochenende mit ihrem Sohn laufen gegangen und nicht nach Hause gekommen.«

»Wer auch immer sie entführt hat, hat eine Blutprobe von ihr vor ein Bürogebäude gelegt. Das Blut war in einem Plasmabeutel aus dem Krankenhaus und mit ihrem Namen beschriftet.«

»Wo ist der Junge?«

»Ein psychiatrischer Krankenpfleger kümmert sich um ihn in einem sicheren Versteck. Sie sollen in dem Fall beraten und die Betreuung des Jungen beaufsichtigen. Er hat noch kein Wort gesagt, seitdem die Polizei ihn vor zwei Tagen aufgelesen hat.«

»Das überrascht mich nicht. Es verschlüge den meisten Kindern die Sprache, wenn sie sähen, wie ihre Mutter entführt wird.« Ich sah zu Christine auf. »Habe ich eine Wahl?«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Es war schon ein anderer Therapeut bei ihm, aber der Junge ist auf ihn losgegangen.«

»Schlimm?«

»Nur ein paar blaue Flecken. Wahrscheinlich hat er um sich geschlagen, um zu zeigen, dass er noch nicht bereit ist zu reden.«

»Mike Donnelly hat doch viel mehr Erfahrung mit verhaltensgestörten Kindern. Warum fragen Sie nicht ihn?«

»Es muss eine weibliche Therapeutin sein; der Junge steht seiner Mutter sehr nahe. Er hat keine männlichen Verwandten, und Sie haben Erfahrung mit traumatisierten Kindern. Wir brauchen die Fakten, bevor er sie vergisst. Sie könnten mit im Versteck wohnen, bis er so weit ist.«

»Ich dürfte maximal jeden zweiten Tag eingreifen – mehr schadet oft nur. Aber selbst dann kann es Wochen dauern, bis ich sein Vertrauen gewonnen habe.«

Christine lächelte mich aufmunternd an. »Sie können heute Nachmittag anfangen, Alice.«

Ich blätterte die Bilder in der Akte durch. Die Mutter des Jungen war eine attraktive Frau Mitte vierzig, die braunen Haare elegant zum Zopf gebunden. Etwas rührte sich in meiner Brust, als ich die Aufnahme ihres elfjährigen Sohnes betrachtete. Mein Bruder hatte als Kind genauso verletzlich ausgesehen: ein schmales Gesicht, himmelblaue Augen, dunkle Haare, die unbedingt geschnitten werden mussten.

»Warum ist er in einem Versteck?«

»Die Polizei geht davon aus, dass der Entführer auch den Jungen mitnehmen wollte. Bis auf eine Tante, die er nicht häufig trifft, hat er keine Familie. Riordan hat eine Verfügung wegen Belästigung gegen sie erwirken lassen.«

»Und der Vater?«

»Bei einem Verkehrsunfall gestorben, als Mikey fünf war. Der Junge hat es anscheinend nur schwer weggesteckt. Laut seiner Lehrerin hat er danach ein halbes Jahr lang nicht gesprochen. Er ist klug für sein Alter, sportlich und künstlerisch begabt, hat aber Schwierigkeiten, sich zu integrieren.« Christine stellte ihre Tasse ab. »Eine Sache sollten Sie noch wissen: Don Burns leitet die Ermittlungen. Scotland Yard wollte den Fall in guten Händen wissen.«

»Ich dachte, Paare dürfen nicht zusammenarbeiten.« Nur sehr wenige wussten von meiner Beziehung zu Burns; ich hatte Christine auch nur davon erzählt, falls es zu einem Interessenkonflikt führen sollte.

»In der Zentrale haben sie eine Ausnahme gemacht.«

»Wer hat denen von unserer Beziehung erzählt?«

Sie sah mich missbilligend an. »So etwas spricht sich rum, Alice.«

»Jetzt ist kein guter Zeitpunkt. Ich würde mich lieber auf meine Stelle konzentrieren und jemand anderen einteilen.«

»Niemand ist so kompetent wie Sie. Dieser Fall wird groß in die Medien kommen; Sie und Burns wissen, wie man mit der Presse umgeht.«

Aus Erfahrung wusste ich, dass die Zeitungen sich um Informationen reißen würden, und so wie sie die schlimmsten Ängste aller Eltern weckten, würde die Angelegenheit Millionen von Klicks auf ihren Websites bringen. Christine sah mich so eindringlich an, dass es mir schon unangenehm wurde. Ich hatte keine Wahl: Ich musste einen Fall annehmen, in dem sich womöglich herausstellte, dass ein verletzlicher Junge erfuhr, dass seine Mutter umgebracht worden war. Die Aussicht darauf war so ernüchternd, dass ich nichts weiter entgegnete. Meine Vorgesetzte schien den Druck genauso zu spüren. Als sie aufstand, fiel mir erneut auf, wie dünn sie geworden war; in den zwei Monaten, die seit meinem Vorstellungsgespräch vergangen waren, hatte sie um eine Kleidergröße abgenommen. Sie bestand darauf zu zahlen und ließ mich dann mit meinem Cappuccino allein, den ich nur mit Mühe hinunterbrachte.

Ich war immer noch in Gedanken bei dem Fall, als ich ins Institut zurückkehrte. Ich hatte bereits angebissen. Als mein Taxi vorfuhr, hatte sich mir Claire Riordans Hochglanzlächeln bereits unauslöschlich eingeprägt. Während der Wagen nach Süden durch Holborn in Richtung Themse fuhr, versuchte ich, mich in ihren Sohn hineinzuversetzen. Ich ließ den Blick über die Leute in Anzügen schweifen, die mit Kaffeebechern, so groß, dass man darin ertrinken könnte, den Bürgersteig entlangschlenderten. Bisher hatte der Junge jegliche Hilfe abgelehnt, den Traumatherapeuten angegriffen und sich anschließend zusammengerollt. Selbst wenn Christine an mich glaubte, war es nicht unwahrscheinlich, dass er mit mir genauso umging. Ich holte mein Handy aus der Tasche und schickte Burns eine Nachricht, bekam jedoch keine Antwort. Jetzt, wo er Detective Chief Inspector für ganz King's Cross war, unterstanden ihm Hunderte Mitarbeiter. Es brauchte schon ein kleines Wunder, um ihn während seiner Arbeitszeit zu erreichen.

(Continues…)


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