Mein Gott, Kirche!: Warum sie wieder für uns da sein muss

Mein Gott, Kirche!: Warum sie wieder für uns da sein muss

by Ute Pfeiffer
Mein Gott, Kirche!: Warum sie wieder für uns da sein muss

Mein Gott, Kirche!: Warum sie wieder für uns da sein muss

by Ute Pfeiffer

eBook1. Auflage (1. Auflage)

$16.99 

Available on Compatible NOOK devices, the free NOOK App and in My Digital Library.
WANT A NOOK?  Explore Now

Related collections and offers

LEND ME® See Details

Overview

Warum bleiben so viele Kirchenbänke am Sonntag leer? Sind die Menschen nicht mehr an Gott interessiert? "Oh doch!", sagt die evangelische Pfarrerin Ute Pfeiffer. "Die von Vielen empfundene Lebensferne der Kirche ist das Problem." Ute Pfeiffer beruft sich auf unzählige Begegnungen mit Menschen innerhalb und außerhalb von Kirchenmauern. Sie selbst ist am liebsten mittendrin im Geschehen, im sozialen Raum. Da packt sie mit an. Und mit Menschen über kritische und existenzielle Fragen zu sprechen oder politisch Flagge zu zeigen, wenn ein Stadtteil benachteiligt wird, gehört für Ute Pfeiffer genauso zum pastoralen Dienst wie taufen oder predigen. Für die engagierte Pfarrerin muss die Kirche, so wie Jesus, mitten in der Lebenswirklichkeit der "normalen" Leute zu finden sein. Nur davon hängt ab, ob sie wieder an Bedeutung beim Einzelnen und in der Gesellschaft gewinnt.  


Product Details

ISBN-13: 9783843716277
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 09/08/2017
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 200
File size: 524 KB
Language: German

About the Author

Ute Pfeiffer, geboren 1960, stammt aus einer nordfriesischen Handwerkerfamilie. Sie ist seit Jahren im pastoralen Dienst tätig. Seit 2006 ist sie evangelisch-landeskirchlich ordinierte Pfarrerin. Sie war u.a. in Berlin Spandau und in Potsdam Schlaatz tätig.
Ute Pfeiffer, geboren 1960, stammt aus einer nordfriesischen Handwerkerfamilie. Sie ist seit Jahren im pastoralen Dienst tätig. Seit 2006 ist sie evangelisch-landeskirchlich ordinierte Pfarrerin. Sie war u. a. in Berlin Spandau und in Potsdam-Schlaatz tätig.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Pfarrerin-Sein, was heisst das eigentlich für mich?

Wie ich zweimal ordiniert wurde

Als mich mein beruflicher Weg zum ersten Mal in die Kirche führte, war die Mauer gerade gefallen. Nach einer Zeit des ehrenamtlichen Engagements in einer evangelischen Freikirche bekam ich das Angebot, dort Pastorin zu werden. Ich auf der Kanzel – das konnte ich mir zunächst nicht wirklich vorstellen. Ich wollte aber auch nicht kategorisch Nein sagen. Also nahm ich mir ein Jahr Zeit, um herauszufinden, ob das Ganze vielleicht doch das Richtige für mich sein könnte. Etwas frommer formuliert: Ich wollte mir klar werden, ob ich eine »Berufung« für den kirchlichen Dienst habe.

Ich machte ein bezahltes Langzeit-Praktikum und lief an der Seite eines erfahrenen Geistlichen mit. Das war sehr spannend. Ich lernte sozusagen »on the job«, was Pastorin-Sein in dieser Freikirche alles bedeuten würde. Ich erfuhr, wie vielseitig dieser Beruf ist, denn kein Tag war wie der andere. Ich lernte auch neue Seiten an mir selbst kennen, zum Beispiel, wie viel Freude mir Begegnungen mit Menschen machen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Kirchenraumes. Ich merkte aber auch ziemlich schnell, wie sehr dieses Amt an den eigenen Kräften und Ressourcen zehrt. Das gefiel mir weniger. Als mir dann noch ein alter Geistlicher erklärte, dass ein Pastor wie eine Kerze sei, die den anderen Licht und Wärme spende, sich selbst aber dabei verzehre, kriegte ich es sogar mit der Angst zu tun.

In der Findungsphase hatte ich mir ein Bild machen können. Ich wusste ungefähr, was mich erwarten würde. Ich hatte auch verstanden, dass eine theologische Ausbildung für den pastoralen Dienst zwar unerlässlich ist, dass es aber im Dienst in erster Linie darauf ankommt, als Pastorin eine authentische Seelsorgerin zu sein, die ihren Gegenübern zugewandt und offen begegnet. Und auf ein lebensnahes Predigen, das nicht über den Köpfen der Zuhörer schwebt, sondern sie erreicht. Letzteres traute ich mir schon damals zu. Nicht zuletzt deshalb und aufgrund meines Glaubens entschied ich mich letztendlich, in den sogenannten hauptamtlichen kirchlichen Dienst zu gehen.

Eine Voraussetzung, um überhaupt Pastorin dieser Freikirche werden zu können, war eine bereits abgeschlossene andere Ausbildung oder zumindest einige Zeit im Arbeitsleben. Es war den kirchlichen Verantwortlichen wichtig, dass niemand »frisch« von der Schule kam, sondern dass alle schon Lebenserfahrung gesammelt hatten, bevor ihr Weg ins Pastorenamt führte. Zunächst hatte mich das etwas befremdet, auch wenn ich diese Voraussetzung erfüllen konnte. Ich war ja schon Diplom-Rechtspflegerin geworden und hatte in diesem Beruf auch einige Jahre gearbeitet. Mit der Zeit erkannte ich die Weisheit einer solchen Regelung. Denn nach der Schulzeit erst einmal zu lernen, was es heißt, im Leben selbständig Fuß zu fassen, ist später ungemein hilfreich, wenn man als Pastor oder Pastorin mit anderen Menschen zu tun hat. Dazu kommt, dass es in manchen Gemeinden durchaus Vorbehalte gegen blutjunge Pfarrer gibt, weil sie bisher ja nur Schule und Elternhaus kennengelernt und vom Leben noch keine Ahnung haben.

Die Freikirche, bei der ich meine ersten Schritte machte, war (und ist) aufgrund ihres Bibelverständnisses und ihrer Historie sehr auf die Mission, die Diakonie und die Gemeindearbeit ausgerichtet. Die Ausbildung der Pastorinnen und Pastoren war sehr praxisorientiert und beinhaltete neben wissenschaftlichen Seminaren auch viele Übungen in Gemeinden, auf öffentlichen Plätzen und auch innerhalb der Gruppe der Anwärter. Alle begannen zum Beispiel schon sehr früh zu predigen. Oder auch musikalisch zu arbeiten.

Ich kann mich noch gut an manchen praktischen Einsatz erinnern, den wir damals in Berliner Stadtteilen gemacht haben. Einmal führten wir im Sommer eine Art christliche Muppet-Show auf dem Spielplatz auf. Ein anderes Mal hatten wir einen richtigen Zirkus mit verschiedenen Attraktionen im Angebot. Ich war der Clown Bruno, der zur Freude aller den dummen und tolpatschigen Anti-Helden gab. So etwas machte mir noch nie etwas aus, jedenfalls vor Kindern nicht. Was ich allerdings schon als Praktikantin nicht mochte, war das »Fromme Lieder Singen« in irgendeiner Einkaufsstraße, am besten noch am Samstagnachmittag. Das war mir einfach nichts, auch wenn ich gut singen konnte. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Leute uns ganz komisch anschauten, als kämen wir von irgendeiner Sekte.

Ganz anders ging es mir dagegen, als ich später als fertige Pastorin mit Gemeindeleuten zusammen einige Gottesdienste an belebten Plätzen hielt, zum Beispiel kurz nach der Wiedervereinigung mitten im Treptower Park im ehemaligen Ost-Berlin. Direkt vor dem Denkmal der weinenden Mutter Russlands (»Mutter Heimat«) predigte ich los, zum großen Erstaunen der Touristen, die vorbeigingen. Da war mir nichts peinlich, das hat mir riesigen Spaß gemacht. Ich erinnere mich, dass es an diesem Tag um die sehr bekannte biblische Geschichte vom verlorenen Sohn ging, allerdings in einer etwas modernisierten Fassung. Bei mir hieß dieser Sohn Benny und war 14 Jahre alt. Er lebte auf der Straße und bettelte nicht, wie das Original, bei den Bauern um Essen, sondern in der U-Bahn um Geld. Zur Untermalung ging ich wie Benny zu den Leuten und fragte sie: »Haste ma ne Mark?«

Na ja ... – warum denn nicht auch so etwas einmal wagen?! Dadurch hatte ich auf jeden Fall die Aufmerksamkeit der Menschen – und kam ganz beiläufig auch noch zu einer guten Kollekte.

Im Rückblick bin ich über manches froh, was ich da ganz am Anfang schon lernen konnte, vor inzwischen weit über fünfundzwanzig Jahren. Nachhaltig prägten mich die unzähligen Erlebnisse mit ganz verschiedenen Menschen. Diese Begegnungen waren es, die mir früh die Berührungsängste vor solchen Gesprächspartnern genommen haben, die so ganz »anders« sind als ich, sei es durch die Erscheinung oder aufgrund des Verhaltens. Gerade von diesen Gegenübern profitiere ich heute noch in besonderem Maße, und das nicht nur in meinem Amt.

Schon damals hieß für mich Pfarrerin-Sein zweierlei: zum einen »Hirtin«, also Pastorin, einer konkreten Gemeinde oder christlichen Gruppe zu sein; zum anderen in einer sowohl diakonischen als auch seelsorgerlichen Grundhaltung mitten im Alltag der Menschen zu stehen, als Mit-Mensch.

Obwohl ich viele Erfahrungen aus jener Zeit nicht missen möchte, habe ich den Dienst in dieser Freikirche nach wenigen Jahren beendet. Es hatte fast unmerklich begonnen. Langsam, aber sicher waren in mir Zweifel an deren fundamentalen theologischen Überzeugungen gewachsen.

Probleme bekam ich vor allem dann, wenn die alten biblischen Aussagen uneingeschränkt als von Gott persönlich eingegeben gelten sollten. Und sie dann, obwohl vor Tausenden von Jahren in ganz anderen historischen und sozialen Zusammenhängen geschrieben, genauso ins Heute übertragen wurden. Wenn mir zum Beispiel in mancher Gemeinde gesagt wurde, dass ich als Frau nicht predigen dürfe, weil Gott selbst das »verboten« habe. Schließlich sei im Neuen Testament ganz klar formuliert, vor allem in den Briefen des Apostels Paulus, dass die Frauen in der Gemeindeversammlung schweigen sollten und es ihnen nicht gestattet sei, zu reden, zu lehren oder das Wort zu führen. Dass solche Sätze in ganz konkreten Situationen gesprochen wurden, nämlich in bestehenden Konflikten in den ersten christlichen Gemeinden, war und ist offensichtlich für nicht wenige Glaubende irrelevant.

Irgendwann habe ich seinerzeit aufgegeben zu diskutieren und auch, mich zu verteidigen. Das kostete nur Kraft und blieb ohne Ergebnis. Andere theologische Fragen häuften sich mehr und mehr, und die »neuen« Antworten, die ich damals fand, führten mich von der dort herrschenden Lehre weg. Und sie nahmen auch Einfluss auf meinen alltäglichen pastoralen Dienst.

Ich möchte ein kleines Beispiel geben: Als ich in unserem Café für Wohnungslose nicht nur christliche Bücher, sondern auch Kondome für die Gäste auslegte, wurde ich von einigen Kirchenleuten sehr dafür gescholten. Man muss dazu wissen, dass diese Freikirche jede sexuelle Betätigung außerhalb der heterosexuellen Ehe als Sünde ansah. Entsprechend warf man mir vor, mit den Kondomen die falschen Signale zu setzen und damit die Sünde zu fördern. Ich konnte damals, aus tiefster Überzeugung, nur eins darauf antworten: »Nein, ihr Lieben, ich verhindere Aids.«

Diese Begebenheit steht stellvertretend für vieles, was nicht mehr zu meinen Überzeugungen passte. Da es aber für eine ordinierte Geistliche unabdingbar ist, hinter den Glaubenssätzen ihrer Kirche zu stehen, blieb mir am Ende nur, meinen Dienst dort zu beenden. Denn was ich noch nie konnte, war, mich zu verbiegen.

Ich war inzwischen mit Leib und Seele Pastorin, aber nun eine ohne Kirche – und dazu noch an einem eklatanten Wendepunkt. Ein ehemaliger Bischof Berlins sagte mir später einmal sinngemäß, ich hätte da wohl fast so etwas wie eine »reformatorische Wende« durchlebt. Ja, das trifft es im Kern, wenngleich es vielleicht etwas zu gewichtig formuliert ist.

Ich hatte sowohl theologisch als auch in meinem persönlichen Glauben wieder zu dem Gott gefunden, den ich als Teenager schon einmal kennengelernt hatte. Dem Gott, den schon Martin Luther seinerzeit gesucht und gefunden hatte: dem gnädigen, befreienden und über die Maßen liebenden Schöpfer und Erhalter. Und folgerichtig führte mein Weg mich dann auch wieder zurück zur Kirche der Reformation, die ich mit meiner Konfirmation, wie so viele andere Jugendliche, hinter mir gelassen hatte.

Der Weg ins Pfarramt innerhalb der evangelischen Landeskirche (EKD) war für mich dann allerdings sehr aufwendig und mehr als steinig. Denn bis auf wenige Ausnahmen wurden Module meiner freikirchlichen Ausbildung nicht anerkannt. Sie entsprächen, so hieß es, nicht dem universitären Standard des Theologie-Studiums. Zudem hatten einige Verantwortliche Vorbehalte gegen mich im Amt ihrer Kirche, weil ich ja einmal eine »Freikirchlerin« war. Das war ernüchternd und enttäuschend. Doch ich wollte auch künftig Pfarrerin sein, also tat ich das, was die evangelische Kirchenleitung von mir forderte: Ich studierte als Enddreißigerin an der Humboldt-Universität zu Berlin evangelische Theologie – und machte dort den Abschluss. Mag sein, dass Stolz eine Todsünde ist, sei's drum. Ich jedenfalls bin bis heute verdammt stolz darauf, im Alter von 44 Jahren dieses sehr schwere Examen geschafft zu haben.

Im Rückblick möchte ich diese Jahre an der Uni nicht missen, nicht nur wegen der coolen Partys, sondern vor allem, weil dieses Studium mir unendlich viel Rüstzeug gab, theologisch tiefer zu sehen – und zu verstehen. Und auch sowohl meinen Glauben als auch mein pastorales Verständnis fundierter als je zuvor zu bestimmen. Ich habe auch sehr gern die alten Sprachen gelernt, was die meisten meiner Kommilitonen sehr befremdlich fanden. Aber Alt-Hebräisch und Alt-Griechisch ermöglichten mir, die Texte der biblischen Bücher ohne Übersetzung zu lesen und zu erforschen. Wobei mir später in der Praxis aufgrund der hohen Arbeitsbelastung selten die Zeit dazu blieb, dies in aller Ausführlichkeit zu tun.

Ich höre leider immer wieder, dass jungen Menschen in manchen freikirchlichen Kontexten geraten wird, bloß nicht an der Universität Theologie zu studieren, weil man dort »seinen Glauben verlöre«. Bei allem Respekt, ich halte das für Unsinn – und zudem für übergriffig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich mein Glaube verändert hat, dass er aber keinesfalls verlorenging, sondern im besten Sinne »erwachsener« und tragfähiger wurde. Allerdings störte mich an der Uni, dass es während des Studiums kaum Praxis-Module für diejenigen gab, die das Pfarramt anstrebten.

Ich sehe es, trotz all der Mühen, heute noch als Bereicherung an, zwei verschiedene Strecken zur »Geistlichen« gegangen zu sein und dadurch ein sehr breites Spektrum zu haben. Ich bin sogar zweimal ordiniert worden. Wer kann das schon von sich behaupten?

Seit zehn Jahren bin ich nun Pfarrerin innerhalb der EKD. Diese gliedert sich in zwanzig selbständige regionale Landeskirchen, denen auch die Pfarrerinnen und Pfarrer zugeordnet sind. Da ich in Berlin lebe, gehöre ich zur Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, kurz EKBO genannt.

Viele Menschen denken bei Pfarrern immer noch vor allem an Predigen und Beerdigen. Manche fragen mich auch, was wir Pfarrer eigentlich die ganze Woche so machen; wir hätten doch nur am Sonntag den Gottesdienst zu halten – und ab und zu mal ein Kind zu taufen. Nun ja, »ein bisschen« mehr ist es schon.

Als Pfarrerin verstehe ich mich nicht als jemand, der als eine Art Zeremonienmeisterin »gebraucht« wird, von diesem oder jenen, für dies oder das. Ich sehe mich auch nicht als eine Sonntags-Predigerin, um es mal überspitzt zu formulieren.

Natürlich ist es meine Aufgabe, vor allem im Dienst als Gemeindepfarrerin den Menschen regelmäßig Predigten zu halten, mit denen ich ihnen die biblischen und christlichen Inhalte nahebringe und die Relevanz für ihre aktuelle Lebenswirklichkeit darlege. Genauso gehört es zu meinem Amt, als Seelsorgerin zur Verfügung zu stehen, den Menschen ein christliches Gegenüber zu sein. Oder mit den Menschen Taufe und Abendmahl zu feiern, zu beerdigen, zu trauen und zu konfirmieren. Und auch die Ehrenamtlichen zu begleiten, die Kranken zu besuchen, Konfirmanden- oder auch Religionsunterricht zu geben, Bibelstunden abzuhalten, Gemeindekreise zu unterstützen und so weiter. Und all das tue ich, so gut ich es vermag, oft und gern. Na ja, manches vielleicht etwas lieber als anderes.

Doch Pfarrerin-Sein kann für mich in der heutigen säkularisierten Welt nicht nur bedeuten, innerhalb der Gemeinschaft der Glaubenden zu agieren. Meinen Platz sehe ich genauso außerhalb der Kirchenräume, im Umfeld, im sozialen Raum. Und dort sehe ich mein Ziel nicht darin, neue Mitglieder für die Kirche zu gewinnen und sie zum Teil des Binnenlebens der Gemeinde zu machen. Nein, ich will als Pfarrerin einfach »da sein«, mitten im Stadtteil, dort, wo die Menschen sind. Mir Zeit nehmen, mit ihnen – und, wenn gewünscht, auch für sie. Ich will als Frau der Kirche »Teil von's Janze« sein.

Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen in unserem Land an der Armutsgrenze leben und wenig Perspektiven zu haben scheinen. Erhebungen zufolge gehört auch jedes fünfte Kind in Deutschland dazu. Genauso trifft es die, deren Rente trotz vieler Jahre Arbeit nicht zum Leben und nicht zum Sterben reicht. Dies hat Folgen, vor allem für die Seele und die Lebensqualität jedes einzelnen Betroffenen, aber auch für das Gesellschaftsgefüge insgesamt. Hier kann die Kirche sich keinesfalls »raushalten«.

Ich war als Pfarrerin bereits in mehreren nicht so angesagten Stadtteilen tätig. Dort wird es ganz konkret. Armut und die damit verbundene soziale Ausgrenzung sind dann keine statistischen Größen mehr, sondern bekommen ein Gesicht, einen Namen, eine persönliche Geschichte. Und Aggression und Fremdenfeindlichkeit sind dann kein Phänomen von Pegida und Co., sondern hautnah spürbar, als Ventil für so vieles, was den Leuten in ihrer Lebenssituation auf der Seele liegt. Das wahrzunehmen und sich dem auszusetzen, das heißt für mich heute auch Pfarrerin-Sein. Als christliche Seelsorgerin bin ich aber keine verkappte Sozialarbeiterin. Das ist nicht mein Beruf, das sollen die geschulten Profis machen.

Ich verstehe mich als pastorale Person, die sich einem Menschen, der das Gespräch mit mir sucht, zur Verfügung stellt. Auch wenn er oder sie gar nicht über Gott oder das Christentum reden möchte. Es ist mein Anliegen und auch meine grundsätzliche Aufgabe, allen Äußerungen, Meinungen und Fragen eines Gegenübers zuzuhören und mich damit auseinanderzusetzen, in aller Offenheit, aber ohne die Person in eine Richtung zu lenken.

Ich sehe meinen Platz als Pfarrerin auch in der Reihe derer, die gemeinsam das Leben in ihrem Viertel gestalten, den sozialen Frieden erhalten und das Miteinander der Bewohner stärken wollen. Auf diese Weise wird Kirche wieder konkret und erkennbar. Denn sie wandelt sich von einer unpersönlichen Institution zu einer beteiligten Akteurin, wovon viele Menschen im Umfeld profitieren können. Ein Schulterschluss mit den sozialen und kommunalen Trägern vor Ort, auch mit Schulen, Wohnheimen und Bürgerprojekten, ist dabei ein wichtiger Schritt. Für solche Prozesse der Vernetzung muss die Kirche künftig mehr Dienstzeit einplanen, auch wenn sie dann an anderer Stelle fehlt. Bisher konnte leider nicht jeder Kirchenleitende das »Pfarramtliche« an meinem diesbezüglichen Engagement erkennen, was mehr als betrüblich war.

Aber Bündnisbildung, das ist doch das A und O in der gesamten pastoralen Arbeit, aus meiner Sicht jedenfalls. Verbindungen aufzubauen, nicht nur mit anderen Gläubigen, nicht nur in der Ökumene, sondern gerade auch mit denen, die der Kirche fernstehen, aber humanistische Ziele verfolgen – das ist für mich genauso eine Kern-Aufgabe meines Amtes wie eine Bibelstunde im Gemeindesaal zu halten. Denn nur im Miteinander zwischen nichtkirchlichen und kirchlichen Akteuren, mittendrin im Leben einer Gesellschaft, kann in der »Welt« etwas Nachhaltiges und Tragfähiges bewegt werden.

(Continues…)



Excerpted from "Mein Gott, Kirche!"
by .
Copyright © 2017 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
Excerpted by permission of Ullstein Buchverlage.
All rights reserved. No part of this excerpt may be reproduced or reprinted without permission in writing from the publisher.
Excerpts are provided by Dial-A-Book Inc. solely for the personal use of visitors to this web site.

Table of Contents

Umschlag,
Das Buch/Die Autorin,
Titelseite,
Impressum,
Zum Warmwerden,
Pfarrerin-Sein, was heisst das eigentlich für mich?,
»Meine Freundin möchte Patin für meinen Sohn werden ... Ich freu mich so!«,
»Also, Frau Pfarrerin, so etwas geht ja gar nicht! Der soll sich erst einmal waschen!«,
»Ute, dürfen wir bei der Konfirmation Turnschuhe anziehen?«,
»Ute, ich habe etwas Schlimmes getan, kann ich bei dir die Beichte ablegen? Bitte!«,
»Frau Pfarrerin, wir haben damals kirchlich geheiratet. Jetzt ist unsere Ehe am Ende. Haben wir vor Gott versagt?«,
»Ute, wir finden keine Wohnung, kriegen ja jetzt alle die Flüchtlinge! Ich wähle jetzt auch die AfD.«,
»Also Frau Pfarrerin, was kommen Sie mir denn mit der letzten Ölung?«,
»Frau Pfarrerin, meine Frau, sie soll sterben, jetzt.«,
»Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.«,
Dank,
Literaturempfehlungen,
Feedback an den Verlag,
Empfehlungen,

From the B&N Reads Blog

Customer Reviews