Miss Daisy und der Mord unter dem Mistelzweig: Kriminalroman

Miss Daisy und der Mord unter dem Mistelzweig: Kriminalroman

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Miss Daisy und der Mord unter dem Mistelzweig: Kriminalroman

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Toodle-oo, Miss Daisy!

Daisy Dalrymple verbringt die Weihnachtstage mit ihrer Familie bei Verwandten – samt nörgelnder Mutter und Ehemann Alec Fletcher von Scotland Yard. Um das prächtige Anwesen in Cornwall ranken sich alte Geistergeschichten, und draußen zieht ein Wintersturm auf. Die Atmosphäre im eingeschneiten Gutshaus ist angespannt, denn schon bald kommen gut gehütete Familiengeheimnisse zum Vorschein. Und eines Morgens liegt im Schnee eine Leiche ... 

Ein atmosphärischer Kriminalfall für alle Fans von »Downton Abbey«.


Product Details

ISBN-13: 9783841216328
Publisher: Aufbau Digital
Publication date: 09/14/2018
Series: Miss Daisy ermittelt , #11
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 288
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

About The Author

Carola Dunn wurde in England geboren und lebt heute in Eugene, Oregon. Sie veröffentlichte mehrere historische Romane, bevor sie die »Miss Daisy«-Serie zu schreiben begann.

Im Aufbau Taschenbuch sind folgende Titel erhältlich:

Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
Miss Daisy und der Tod im Wintergarten
Miss Daisy und die tote Sopranistin
Miss Daisy und der Mord im Flying Scotsman
Miss Daisy und die Entführung der Millionärin
Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser
Miss Daisy und der tote Professor
Miss Daisy und der Mord im Museum
Miss Daisy und der Tote auf dem Luxusliner
Miss Daisy und der Tote im Chelsea Hotel
Miss Daisy und der Mord unter dem Mistelzweig.


Eva Riekert ist seit vielen Jahren als freischaffende Übersetzerin tätig und lebt in der Nähe von Husum.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

London, 1923

Also wirklich, Mutter, das geht doch nicht!«

»Jetzt sei bitte nicht schwierig, Daisy.« Die Stimme der Dowager Viscountess klang durch das Knacken in der Leitung recht selbstgefällig. »Vielleicht hast du falsch verstanden, was ich sagte – die Verbindung ist ja entsetzlich schlecht. Nachdem Violet erwähnt hatte, dass du kurz vor Weihnachten nach Brockdene fährst, habe ich Lord Westmoor sofort geschrieben. Und ich muss dir sagen, ich finde, dass ich eigentlich nicht erst über deine Schwester von deinen Plänen erfahren sollte.«

»Entschuldige, Mutter, ich hatte furchtbar viel zu tun, seit Alec und ich aus Amerika zurück sind. Aber ...«

»Lord Westmoor war äußerst zuvorkommend. Alles ist geregelt. Wir stoßen am dreiundzwanzigsten Dezember zu euch.«

»Alle?«

»Ich habe Westmoor darauf aufmerksam gemacht, dass du einen Polizisten geheiratet hast. Du hättest den Earl zur Hochzeit einladen müssen, Daisy. Die Norvilles sind schließlich Verwandtschaft.«

»Aber nur entfernte«, murmelte Daisy aufmüpfig. »Cousins zweiten Grades oder so.« Immerhin hatte sie es wegen dieser geringfügigen Verbindung gewagt, Seine Lordschaft um Erlaubnis zu bitten, über Brockdene zu schreiben, daher konnte sie sich eigentlich nicht wirklich beklagen.

Womit Lady Dalrymple ihrerseits fortfuhr. Daisy hatte nicht alles verstanden, was ihre Mutter sagte, aber sie nahm an, dass Alec nicht aus dem Familientreffen ausgeschlossen worden war, trotz seines unterirdischen Berufs.

»Ich gehe davon aus, dass man ihn an Weihnachten nicht von seinem kleinen Mädchen trennen kann.«

»Das will ich doch nicht hoffen, Mutter! Abgesehen davon, Belinda ist ja jetzt auch meine Tochter.«

Aus dem Hörer drang ein resigniertes Seufzen an ihr Ohr. »Ja, Liebes. Und wie Violet berichtet, sind sie und Derek inzwischen dicke Freunde. Vielleicht halten sie sich ja gegenseitig davon ab, Unsinn zu machen.«

Oder sie stacheln sich dazu an, dachte Daisy. »Was ist mit Mrs. Fletcher?«

»Liebling, meinst du denn, dass sich deine Schwiegermutter in dieser Gesellschaft wohl fühlt? Sie ist die Witwe eines Bankdirektors, soviel ich weiß, und auch nur des Direktors einer Zweigstelle ...«

»Mutter, Bel ist ihr einziges Enkelkind, und wir reden schließlich von Weihnachten!« Eine nicht ganz überzeugte Stille zwang Daisy, ihren Trumpf auszuspielen. »Und sie spielt Bridge. Gerade eben ist sie zu ihrem wöchentlichen Bridgeabend unterwegs.«

»Hmmm.« Es folgte eine nachdenkliche Pause, dann sagte Lady Dalrymple unwirsch: »Na gut, da du ja nicht bereit warst, Bridge zu lernen ... Ich habe Westmoor gegenüber erwähnt, dass sie eventuell mitkommt, und er hatte nichts dagegen einzuwenden. So, Daisy, ich kann es mir wirklich nicht leisten, endlos zu plaudern, bei den Ferngesprächspreisen. Wir sehen uns am Sonntag. Auf Wiederhören.«

Daisy legte auf, verließ die Diele und ging rasch ins Wohnzimmer zurück. Es war ein freundlicher Raum, was Daisy Alecs erster Frau zugutehielt. Die schweren Mahagonimöbel waren mit hübsch gemusterten Stoffen bezogen; die Wände, früher zweifelsohne in düsteren Farben tapeziert, wie man sie in der Viktorianischen Ära liebte, hatte man schlicht weiß gestrichen; und über dem Kaminsims, wo – so vermutete Daisy – dereinst ein Hirsch geröhrt hatte, hing eine farbenfrohe Ansicht von Montmartre.

Diese Umgestaltung konnte Alecs Mutter ihr zwar nicht anlasten, aber sie konnte ihr zu Recht etwas Unordnung vorwerfen: Bücher und Zeitschriften lagen offen auf Tischen herum, ebenso ein halbangefangenes Puzzlespiel, ein Seidentuch hing über einer Stuhllehne und solche Unsitten.

Der schlimmste Fehltritt fläzte sich auf dem Kaminvorleger vor dem knisternden Feuer: Nana, Belindas buntgescheckter kleiner Mischlingshund, sprang auf, als Daisy den Raum betrat, und begrüßte sie mit einem Tanz, als wäre sie fünf Monate fort gewesen, nicht fünf Minuten.

»Platz, Nana!«, sagte Bel und warf ihre rotblonden Zöpfchen zurück, als sie sich von der Schachpartie umdrehte, die sie mit ihrem Vater spielte. »Tut mir leid, Mummy.«

»Ist schon in Ordnung, Schätzchen, sie ist ja nicht an mir hochgesprungen. Sie wird immer lieber.«

Genau wie Belinda. Sie stotterte nicht mehr, wenn sie Daisy »Mummy« nannte, wie sie es anfangs gemacht hatte, obwohl sie sich an ihre leibliche Mutter kaum erinnern konnte. Umarmungen und andere Liebesbekundungen fielen ihr inzwischen leicht. Ihre Großmutter hatte sie stets vermieden, aus Angst, das Kind zu verwöhnen. Belinda lachte nun viel häufiger.

Daisy erkannte in ihrem eigenen zufriedenen Sinnieren den Versuch, nicht sofort eröffnen zu müssen, was sich die Dowager Viscountess mal wieder ausgedacht hatte. Immerhin wäre es Alecs Aufgabe, seine Mutter später behutsam einzuweihen.

Als Alec einen Läufer bewegte, aufsah und fragte: »Was wollte deine Mutter denn, Daisy?«, setzte sie schuldbewusst an.

»Liebling, das willst du lieber nicht wissen.« Sie ließ sich in einen Sessel fallen. »Du erinnerst dich doch, dass Mutter gejammert hat, ihr Haus sei zu klein, um die ganze Familie zu Weihnachten zu sich einzuladen? Aber sie wollte sich nicht darauf einlassen, dass Cousin Edgar uns alle nach Fairacres einlädt. Ich würde mir wünschen, dass sie sich endlich mit Edgar und Geraldine abfindet. Es ist jetzt fast fünf Jahre her, dass Vater tot ist und der arme Edgar alles geerbt hat.«

»Es wäre vielleicht leichter für sie, wenn das Dower House nicht so nahe bei Fairacres läge.«

»Irgendeinen Grund findet sie immer. Wenn sie im Sarg liegt, wird sie sich darüber beklagen, dass sie ein paar Zentimeter zu tief unter der Erde liegt.«

»Vorsicht!«, warnte Alec sie.

»Oje, vergiss, dass ich das gesagt habe, Bel!«

»Dass du was gesagt hast?«, fragte Belinda und sah vom Schachbrett auf. »Daddy, ich glaube fast, dass du meine Dame in die Enge getrieben hast.«

»Unmensch«, sagte Daisy, die für Schach zu ungeduldig war.

»Ist er nicht! Ich habe Daddy gesagt, er soll mich nicht gewinnen lassen.«

»Gut gemacht, Liebling. Er ist trotzdem ein Unmensch.«

»Nein, ist er nicht«, sagte Bel mit Nachdruck. »Er hat mir vier Bauern geschenkt, ehe wir angefangen haben.«

»Na gut, dann ist er entlastet.«

»Du aber nicht, Daisy«, warf Alec ein und grinste. »Was hat Lady Dalrymple diesmal ausgeheckt?«

»Du wirst es nicht glauben. Irgendwie hat sie Lord Westmoor dazu verdonnert, uns alle über Weihnachten nach Brockdene einzuladen. Auch Vi und Johnnie. Und natürlich auch deine Mutter.«

»Kommt Derek auch?« Als Daisy nickte, breitete sich ein Strahlen über Bels sommersprossiges Gesicht aus. »Toll!«

»Du hattest doch gesagt, dass dir Superintendent Crane über Weihnachten freigibt, Darling?«

»Ja, ich habe also keine Ausrede, um die Einladung von Lord Westmoor auszuschlagen. Ob er wohl weiß, auf was er sich da eingelassen hat?«

»Er wird gar nicht da sein, da bin ich ziemlich sicher; aber ich wette mit dir, um was du willst, dass Mutter glaubt, er sei da. Sie hat mich nicht zu Wort kommen lassen, als ich ihr die schlechte Nachricht mitteilen wollte.«

»Unser Gastgeber wird gar nicht anwesend sein?«

»Als er mir erlaubt hat, einen Artikel über Brockdene zu schreiben, hat er erzählt, es sei eine alte Familientradition, Weihnachten dort zu verbringen, die jedoch schon seit Jahren abgerissen sei. Inzwischen wird das Haus von verarmten Verwandten bewohnt. Ich glaube kaum, dass er Mutter darüber informiert hat. Vielleicht war das seine kleine Rache dafür, dass sie ihn zu der Einladung manipuliert hat. Sie wird außer sich sein!«

* * *

Und ihre Mutter würde auch nicht erfreut sein über die Anreise nach Brockdene, dachte Daisy, die aus dem Motorboot, das sie von Plymouth über den Tamar gebracht hatte, auf den gepflasterten Anleger trat. Sie drehte sich um und winkte dem Bootsführer zum Abschied zu.

Lord Westmoor hatte sie bereits darauf aufmerksam gemacht, dass Brockdene ziemlich abgeschieden lag. Die Reise auf dem Landweg sei nicht nur äußerst umständlich, die Straßen in Cornwall seien zu dieser Jahreszeit auch voller Schlamm. Motorfahrzeuge, die sich daraufwagten, müssten oft mit Pferdefuhrwerken herausgezogen werden. Von der nächstgelegenen Bahnstation in Calstock könne man zwar über einen sumpfigen Fußweg nach Brockdene gelangen, aber der Earl glaube nicht, dass Daisy darüber begeistert sein würde. Eine Barkasse zu mieten und den Fluss heraufzufahren sei am schnellsten, einfachsten und günstigsten.

Daisys musste ihren Verleger bei der Zeitschrift Town and Country zwar mühsam davon überzeugen, dass er ihr keinen Vergnügungsausflug bezahlen würde, doch schließlich ließ er sich überreden. Wie auch immer, die Bootsfahrt war tatsächlich ein Vergnügen gewesen.

Vor allem war es ein schöner Tag. In ihrem heidekrautfarbenen Tweedkostüm konnte Daisy sogar auf einen Wintermantel verzichten. Die sanfte, milde Luft Südwestenglands war kaum zu vergleichen mit der feuchten Kälte in London, voller Rauch und Benzindämpfe. Die Sonne schien durch einen Wolkenschleier und ließ das blaugraue Wasser der Bucht von Plymouth glitzern. Über ihr kreisten Silbermöwen. Der gesprächige Bootsführer hatte sie mit seinem trägen Devonshire-Dialekt auf Sehenswürdigkeiten aufmerksam gemacht, während sie den Tamar entlangtuckerten: Plymouth Hoe, Drake's Island, die geschäftigen Marinedocks von Devonport, die Mayflower Steps.

Je weiter sie kamen, desto enger wurde das Flussbett, und das Wasser nahm eine graugrüne Farbe an. Der Tamar wand sich durch gelbe Schilfbeete und bewaldete Hänge, hinter denen zu beiden Seiten die grün, golden und braun gefleckten Hügel von Devon und Cornwall anstiegen. Der Bootsführer wies sie auf eine winzige Steinkapelle am Ufer von Halton Quay hin. Er habe von einer weiteren auf Brockdene gehört, die man vom Fluss aus jedoch nicht sehen könne. Nahe bei der Kapelle stießen Kalkbrennereien Rauch aus, in denen Kalkerde zu Düngemitteln gebrannt wurde.

»Verätzt das nicht die Pflanzen?«, fragte Daisy. Sie konnte sich vage erinnern, gelesen zu haben, dass man mit ungelöschtem Kalk auch verseuchte Tierleichen beseitigte.

»Er wird mit Wasser gelöscht, ehe man ihn auf die Felder aufbringt«, beruhigte sie der Bootsführer. »Sehen Sie die Katen dort? Man sagt, dass in den alten Schmugglerzeiten ein roter Unterrock an den Wäscheleinen vor Durchsuchungen warnte und dass man an der Art, wie er aufgehängt war, ablesen konnte, in welcher Gegend die Suche stattfand.« Er klang etwas nostalgisch, wie Daisy belustigt feststellte, und sie entlockte ihm weitere Geschichten über die Schmuggler. Vielleicht konnte sie daraus ja einen Artikel machen.

»Man sagt«, beendete der Bootsmann seinen Bericht, während er den Liegeplatz von Brockdene Quay ansteuerte, »dass einer der Schmugglerbosse, Red Jack, mit der Familie in Brockdene verwandt war und dass sie ihn vor den Dragonern versteckten, als er schlimm verletzt war. Aber das ist schon um die hundert Jahre her, und was daran stimmt, kann ich nicht wirklich sagen.«

»Das ist aber auf jeden Fall eine interessante Geschichte.«

»Richtig. Die Docks hier versanden allmählich, seit es in Calstock einen Bahnhof gibt. Noch ein paar Jahre, dann kann man nur noch bei Flut herkommen. Tja, die Zeiten ändern sich. Vielen Dank auch, Miss«, setzte er hinzu, als sie ihm ein Trinkgeld gab. »Kommen Sie, ich bringe Ihr Gepäck an Land und halte das Boot für Sie fest.«

Daisy sah etwas beklommen zu, wie er ihre Reisetaschen auf den Anleger warf, einschließlich ihrer Schreibmaschine und ihrer Fotoausrüstung mit dem Stativ, einem vorzeitiges Weihnachtsgeschenk von Alec. Dann stieg sie aus, und das Boot tuckerte flussabwärts zurück.

Kein Mensch war in der Nähe. Daisy sah sich um und entdeckte einen kleinen Pub, ein paar Katen, ein Lagerhaus, weitere der unheimlichen, Rauch ausstoßenden Kalköfen und ein Pförtnerhaus am Fuß einer sehr steilen Auffahrt. Brockdene selbst, das befestigte Herrenhaus, war nicht zu sehen und lag wahrscheinlich auf der Anhöhe.

Daisy musterte den Hügel, dann ihr Gepäck, und stöhnte. Lord Westmoor hatte gesagt, er werde ihre Ankunft ankündigen, und sie selbst hatte an Mrs. Norville geschrieben, wann sie eintreffen werde. Sie hoffte, dass sie nicht unerwünscht war.

In dem Moment wurde eine Tür zugeschlagen. Ein sehniger junger Mann in Wams, Reithose und Gamaschen kam aus dem Pub und blickte zum Anleger herüber. Als er Daisy sah, kam er auf sie zugeschlurft. Er schob einen Handwagen über die Pflastersteine.

»Guten Tag«, sagte Daisy. »Ich hoffe, Sie kommen vom Haus, um mein Gepäck hinaufzubringen?«

»Aye.« Der junge Mann, ein Gärtner wahrscheinlich, berührte seine Mütze, lud wortlos das Gepäck auf den Karren und machte sich auf den Weg.

Daisy beeilte sich, um mit ihm Schritt zu halten. Mit ihrer üblichen freundlichen Art versuchte sie, ein Gespräch zu beginnen, aber selbst wenn er redete, war sein cornischer Dialekt nahezu unverständlich. Sie hatte größte Mühe, auch nur ein einziges Wort zu verstehen, und gab die Hoffnung bald auf, etwas über die Hausbewohner zu erfahren, denen sie gleich gegenüberstehen sollte.

Ehe sie die Anhöhe erreichten, bekam sie sowieso kaum noch genug Luft, um sich zu unterhalten. Da sie nicht keuchend ankommen wollte, blieb sie oben erst mal stehen. Dessen ungeachtet trottete der Gärtner weiter und verschwand zwischen einer Reihe riesiger Ahornbäume und einem langen, niedrigen Gebäude aus Granit, das mit Flechten bewachsen war. Es sah ziemlich alt aus, war jedoch in bestem Zustand. Eine Scheune vielleicht oder ein Stall? Ein schwacher Geruch nach Farmtieren hing in der Luft. Ob es wohl ein Pferdefuhrwerk gab, mit dem ihre Mutter vom Anleger abgeholt werden konnte?, fragte sich Daisy. Die Dowager Lady Dalrymple würde es gar nicht zu schätzen wissen, wenn sie zu Fuß gehen musste.

Daisy wandte sich wieder dem Weg zu und sah jetzt das Gebäude. Das dreistöckige, mit Zinnen versehene Torhaus mit seinen winzigen Fenstern und dem schmalen Torbogen schien geeignet, um einer Belagerung standzuhalten. Es schrie geradezu nach einem Foto.

»Halt!«, rief Daisy. »Warten Sie bitte.«

Der Gärtner drehte sich um und glotzte sie an.

Sie eilte auf den Handkarren zu und zog ihren Fotoapparat und das Stativ heraus. »Ich möchte ein Foto machen, solange das Licht so gut ist«, sagte sie zur Erklärung. »Morgen regnet es vielleicht.«

Der junge Mann starrte in den blauen Himmel hinauf. Selbst der leichte Dunstschleier hatte sich inzwischen verzogen. »Aye«, sagte er und setzte seinen Weg mit dem Karren fort, durch das eisenbeschlagene offen stehende Tor unter dem Bogen.

Daisy trat zurück und machte mehrere Fotos, worin sie allmählich recht gut wurde. Ihr Verleger murmelte inzwischen nichts mehr davon, ihr einen professionellen Fotografen zur Seite zu stellen. Seit sie verheiratet war, ging es ihr nicht mehr um das Geld, aber sie hatte schließlich ihren Stolz.

Nachdem sie den Apparat abmontiert und das Stativ wieder zusammengeklappt hatte, folgte sie dem Gärtner durch den Torbogen. Der tunnelartige Durchgang war gepflastert und schmal genug für den Verteidigungsfall. An der Wand zur Rechten befanden sich zwei Türen. Daisy überlegte anzuklopfen. Sie unterschieden sich nicht, deshalb ging sie einfach weiter und trat in einen hellen Innenhof mit weiteren Torbögen und Türen. Der Junge mit dem Karren und ihrem Gepäck war verschwunden.

Das war ja kein besonders vielversprechender Beginn ihres Besuchs.

Sie schlug den Weg des geringsten Widerstandes ein, geradeaus, und pochte mit dem eisernen Türklopfer an die große zweiflügelige Tür.

Einen Augenblick später öffnete ein großer schlanker, leicht gebückter Mann und starrte sie durch seine Nickelbrille verdutzt an.

Er trug eine schäbige Tweedjacke über einer grünen Strickweste, einen grau-blau gestreiften Schal um den Hals und eine marineblaue Hose. Wohl nicht der Butler.

»Guten Tag«, sagte Daisy, »ich bin Mrs. Fletcher. Man hat mich doch wohl angekündigt?«

Sein Ausdruck wurde noch verdutzter. »Mrs. Fletcher? Entschuldigen Sie, kenne ich Sie?«

»Nein, keineswegs. Lord Westmoor ...«

»Ach so, natürlich, Sie sind der Gast von Lord Westmoor«, sagte er, und seine Miene hellte sich auf. »Der Eingang zum Haus liegt eigentlich auf der anderen Seite, aber kommen Sie doch herein.«

Daisy betrat eine beeindruckende Halle, die ungefähr zwölf Meter lang und sechs Meter breit war. An den weiß getünchten Wänden hingen Standarten und Waffen, von Piken und Schwertern über Musketen bis hin zu alten Pistolen. Ein langer, vom Alter geschwärzter Tisch nahm die Mitte des Raumes ein, und an den Wänden reihten sich Stühle mit geschnitzten Lehnen, die unbequem aussahen. Die bleigefassten Buntglasfenster zeigten Wappen und heraldische Lilien. Eine dekorative offene Balkendecke erhob sich hoch über dem Steinfußboden. Neben dem riesigen Kamin stand eine Rüstung, die sich die Hände an dem mickrigen Feuer zu wärmen schien. Hier drinnen war es tatsächlich kälter als draußen, was den Wollschal des Herrn erklärte.

(Continues…)


Excerpted from "Miss Daisy und der Mord unter dem Mistelzweig"
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