Nachtschwalbe: Roman

Ein neuer Fall für Ann Lindell.

In der Nacht zum 10. Mai hat die Polizei in Uppsala alle Hände voll zu tun. Schaufenster werden eingeworfen, ein Haus am Stadtrand geht in Flammen auf und in einer Buchhandlung wird ein junger Schwede tot aufgefunden. Kurz darauf tauchen Flugblätter auf, in denen die Schuld für die Unruhen jungen Immigranten zugewiesen wird. Die Stimmung kocht und Forderungen nach einem Ende der unbegrenzten Zuwanderung werden immer lauter. 
Ann Lindell und die Kripo von Uppsala übernehmen die Mordermittlungen. Zwar gibt es einen „dunkelhaarigen“ Verdächtigen, allerdings auch Hinweise auf eine Tat aus Eifersucht. Beim Exfreund der Freundin des Toten finden sich sogar Blutspuren des Opfers. Doch es gibt auch einen Zeugen: Der fünfzehnjährige Iraner Ali war vor Ort und glaubt den Täter erkannt zu haben …

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Nachtschwalbe: Roman

Ein neuer Fall für Ann Lindell.

In der Nacht zum 10. Mai hat die Polizei in Uppsala alle Hände voll zu tun. Schaufenster werden eingeworfen, ein Haus am Stadtrand geht in Flammen auf und in einer Buchhandlung wird ein junger Schwede tot aufgefunden. Kurz darauf tauchen Flugblätter auf, in denen die Schuld für die Unruhen jungen Immigranten zugewiesen wird. Die Stimmung kocht und Forderungen nach einem Ende der unbegrenzten Zuwanderung werden immer lauter. 
Ann Lindell und die Kripo von Uppsala übernehmen die Mordermittlungen. Zwar gibt es einen „dunkelhaarigen“ Verdächtigen, allerdings auch Hinweise auf eine Tat aus Eifersucht. Beim Exfreund der Freundin des Toten finden sich sogar Blutspuren des Opfers. Doch es gibt auch einen Zeugen: Der fünfzehnjährige Iraner Ali war vor Ort und glaubt den Täter erkannt zu haben …

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Overview

Ein neuer Fall für Ann Lindell.

In der Nacht zum 10. Mai hat die Polizei in Uppsala alle Hände voll zu tun. Schaufenster werden eingeworfen, ein Haus am Stadtrand geht in Flammen auf und in einer Buchhandlung wird ein junger Schwede tot aufgefunden. Kurz darauf tauchen Flugblätter auf, in denen die Schuld für die Unruhen jungen Immigranten zugewiesen wird. Die Stimmung kocht und Forderungen nach einem Ende der unbegrenzten Zuwanderung werden immer lauter. 
Ann Lindell und die Kripo von Uppsala übernehmen die Mordermittlungen. Zwar gibt es einen „dunkelhaarigen“ Verdächtigen, allerdings auch Hinweise auf eine Tat aus Eifersucht. Beim Exfreund der Freundin des Toten finden sich sogar Blutspuren des Opfers. Doch es gibt auch einen Zeugen: Der fünfzehnjährige Iraner Ali war vor Ort und glaubt den Täter erkannt zu haben …


Product Details

ISBN-13: 9783841216595
Publisher: Aufbau Digital
Publication date: 09/03/2018
Series: Ein Fall für Ann Lindell , #3
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 352
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

Kjell Eriksson, geboren 1953, hat Erfahrungen in mehreren Berufen gesammelt. Er lebt in der Nähe von Uppsala. Für seinen ersten Kriminalroman um die Ermittlerin Ann Lindell erhielt er 1999 den schwedischen "Krimipreis für Debütanten". Sein Roman "Der Tote im Schnee" wurde zum "Kriminalroman des Jahres 2002" gekürt, eine Ehrung, die bereits Autoren wie Liza Marklund, Henning Mankell und Håkan Nesser bekommen hatten. 

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Samstag, 10. Mai, 1.26 Uhr

Wäre ich früher gekommen, hätte ich es vielleicht verhindern können und alles wäre wie immer gewesen, zwar nicht gut, aber wie immer.

Kein Mensch entgeht seinem Schicksal, sagte Großvater immer. Aber stimmt das? Wäre es ohnehin geschehen, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit? War der Tod dieses Mannes vorherbestimmt? Denn tot war er doch wohl? Kein Mensch konnte solche Verletzungen überleben.

Dieses Verbrechen würde ihm für den Rest seines Lebens nicht mehr aus dem Kopf gehen: dieser zermalmte Schädel und das Blut, das überall auf die Einrichtung gespritzt war. Er hatte sich ganz in der Nähe aufgehalten, ein Teil von etwas Großem, in dem das Kleine enthalten war, das zum Grauen wurde.

Wäre ich doch nur früher gekommen, dann wäre jetzt alles wie immer, zwar nicht gut, aber wie immer. Der Gedanke wollte ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Neben dem Körper hatte ein Stuhl gelegen, und es war Ali wie der blanke Hohn vorgekommen, dass ein so alltäglicher Gegenstand einem Menschen den Tod bringen konnte.

Als er den blutüberströmten Mann dort liegen sah, fühlte er regelrecht den ersten Schlag, als wäre der gegen den eigenen Kopf gerichtet gewesen, und er glaubte den Schmerz zu spüren. Dann war ein zweiter, vielleicht noch kräftigerer gefolgt, und Ali duckte sich unwillkürlich. Ein dritter Schlag – und alles war vorbei. So hatte es sich in Alis Vorstellung abgespielt.

Dann war er weggerannt wie alle anderen, die aufgekratzt gegrölt hatten. In der Ferne hatte er Schreie gehört, vielleichtauch Sirenen. Alle liefen. Jubelnd, euphorisch, ängstlich. Ali weinte. Glas knirschte unter seinen Füßen, und er stolperte, kam wieder auf die Beine, spürte zwar keinen Schmerz, wo die Scherbe in seine Hand eingedrungen war, aber er sah Blut auf die Erde tropfen und musste sich schließlich übergeben.

Er lief vor seinem Anteil an dem Geschehen davon, war aber dennoch für immer daran gebunden, weil seine Augen zu viel gesehen hatten.

Wir alle leben mit dem Tod in unserer Nähe, sagte Großvater oft, und er musste es ja wissen. Ali wusste, bei diesen Worten dachte der Großvater an seine beiden Söhne, Alis Onkel. Tagtäglich dachte er an sie. Sein Großvater sprach leise, betete murmelnd, weinte, ohne Tränen zu vergießen, und lachte mit Augen, die voller Trauer waren.

»Vor dem Tod darfst du dich niemals fürchten«, pflegte er zu sagen. »Es ist unser Schicksal zu sterben.«

Doch Ali wusste, sein Großvater log. Anfangs hatte er sich von ihm noch täuschen lassen, so dass die Worte zu einem Märchen über ein Land wurden, in dem Ali nie gewesen war, über eine Familie, in der es so viele Tote gab, dass es ihm seltsam erschien, dass sein Großvater und er selber überhaupt lebten. Außerdem hatte er Angst, denn wenn alle so kurz hintereinander und so jung aus dem Leben gerissen worden waren, hing auch sein eigenes Leben nur an einem seidenen Faden.

Je älter er geworden war, desto mehr hatte er den alten Mann durchschaut. Großvater sagte das eine und zeigte mit seinem ganzen Wesen etwas anderes. Sein Körper konnte nicht lügen, kleinste Gesten verrieten ihn.

Ali verachtete die Lüge seines Großvaters nicht, im Gegenteil, er nahm sie an als das Märchen von der stolzen Familie, die dem Tod trotzte, suchte verstärkt die Nähe des alten Mannes und war fest entschlossen zu leben, um ihn stolz zu machen und seine Qualen zu lindern. Insgeheim nährte Ali zudem die Hoffnung, er könnte das Muster durchbrechen und so in dem Märchen zu einer Figur werden, die der Stolz, aber auch der Fluch seiner Familie war und gegen das Schicksal aufbegehrte. Ich werde es ihnen allen zeigen, murmelte er oft vor sich hin. Du wirst schon sehen, Großvater; all ihr Toten, die ihr auf mich herabschaut, ihr werdet schon sehen.

Als er sich noch einmal umgedreht hatte, war alles vorbei gewesen. Die Straße war wie leergefegt. Jemand schrie unten an der Brücke, ein anderer gestikulierte wild, aber Ali wollte nichts mehr hören, nichts sehen.

Das Mofa stand da, wo er es abgestellt hatte, was ihm seltsam erschien. Sein gutes altes Mofa. Als er es an den Poller gekettet hatte, war noch alles ruhig gewesen.

Er trat das Mofa an, und auch das Motorengeräusch überraschte ihn. Ansonsten war jetzt alles still. Es war ein früher Morgen im Mai, und Großvater würde von heute an wieder zu seinen Ausflügen aufbrechen, das hatte er schon gestern Abend verkündet. Er würde aufstehen, seinen Tee trinken, sich den Mantel anziehen, den Stock nehmen, ein paar Worte mit Ali wechseln und dann, nachdem er ihm einen guten Tag gewünscht hatte, in die Ebenen um Lar zurückkehren, obwohl er durch die flache Landschaft vor den Toren Uppsalas wanderte.

»Ich will nach Hause«, murmelte Ali auf Persisch.

Plötzlich kamen ihm Zweifel. Und wenn der Mann doch noch lebte? Es hatte ausgesehen, als wäre er tot, aber vielleicht war er auch nur bewusstlos gewesen. Ali überlegte, zu dem Geschäft zurückzulaufen. Das Mofa konnte er nicht nehmen, die Reifen würden sonst kaputtgehen. Er würgte den Motor ab, und sein zitternder Körper wurde wieder von Übelkeit erfasst. Ali übergab sich und spuckte eine Mischung aus Chips und Cola aus. Am Ende war sein Magen leer, und es kam nur noch eine Brühe, die in seiner Kehle wie Feuer brannte.

CHAPTER 2

Samstag, 10. Mai, 6.45 Uhr

Martin Nilsson, dessen Tochter um ein Haar bei einem Bombenanschlag auf Bali ums Leben gekommen wäre, machte kurz vor der Brücke eine Vollbremsung. Als er die Verwüstungen in der Drottninggatan sah, wurde die Erinnerung an jenen Morgen im letzten Oktober wieder in ihm wach und traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen.

»Lina«, flüsterte er. »Sie lebt, sie schläft in ihrem Bett. Bald werde ich nach Hause fahren und sie wecken.«

Die Polizisten, die vor einer Bankfiliale standen, wirkten ratlos. Martin Nilsson stieg aus dem Auto. Einer der Polizisten schaute auf. Nilsson fragte: »Was ist denn hier passiert?«

»Das sehen Sie doch«, sagte der Beamte abweisend.

»Eine Bombe?«

»Verschwinden Sie«, erwiderte der Polizist.

Martin Nilsson schüttelte den Kopf und blieb noch ein paar Sekunden stehen, ehe er wieder in seinen Wagen stieg. Über Funk hörte er, dass in der Trädgårdsgatan jemand ein Taxi brauchte. Er hätte in einer halben Minute dort sein können, meldete sich jedoch nicht bei der Zentrale. Die Erinnerung an den letzten Oktober wollte ihm nicht aus dem Kopf. Fast hätte er den Polizisten erzählt, wie knapp Lina damals dem Tod entronnen war, aber die schroffe Art des Beamten hatte den Einfall im Keim erstickt. Als er die Straße weiter hinunterfuhr, drängte sich ihm immer mehr der Gedanke von einer vergewaltigten Stadt auf.

Vor Bergmans Herren-Boutique, deren Schaufenster zertrümmert war, stand ein Zeitungsbote. Anzüge lagen verstreut auf dem schmutzigen Bürgersteig, eine Schaufensterpuppe war umgekippt. Der Zeitungsbote ging in die Hocke und griff nach der Puppe; Martin hatte den Eindruck, dass der Mann das cremefarbene Geschöpf am liebsten umarmt hätte, als wäre es ein Mensch aus Fleisch und Blut. Über die Schulter des Mannes starrte die Puppe Martin aus blinden Augen an.

Eigentlich hätte er anhalten, aussteigen und den Zeitungsboten trösten sollen, aber er fuhr langsam weiter. Das kann doch nicht wahr sein, dachte er. Das Knirschen zersplitterten Glases unter seinen Rädern bewies ihm, dass er nicht träumte. Alles war zerschlagen worden, nichts hatte man verschont. Plötzlich packte ihn die Wut. Das ist meine Stadt, dachte er und murmelte: »Vergewaltigt, geschändet.«

Er griff nach dem Mikrofon und übernahm jetzt doch den Fahrgast in der Trädgårdsgatan. In das Fenster eines Cafés hatte jemand ein Straßenschild geworfen. Da hat doch mein Zahnarzt seine Praxis, dachte Martin Nilsson, starrte auf den Hauseingang, als sähe er ihn zum ersten Mal, und hatte plötzlich den Geruch in der Nase, den die Handschuhe der Zahnarzthelferin verströmten.

Der Fahrgast war ein Mann mittleren Alters. Martin Nilsson zögerte und sah auf die Uhr.

»Ich habe es eilig«, sagte der Mann, der einen Hut mit breiter Krempe trug, den er so tief in die Stirn gezogen hatte, dass Martin Nilsson das Gesicht kaum erkennen konnte.

»Tut mir leid, aber ich wusste nicht, dass Sie zum Flughafen wollen«, sagte Nilsson. »Meine Schicht ist gleich zu Ende.«

»Ich habe es wirklich eilig«, wiederholte der Mann.

Martin Nilsson hatte ihn an der Stimme erkannt.

»Ich rufe Ihnen einen anderen Wagen«, sagte er. »Es dauert nur eine Minute. Wann geht Ihr Flug?«

»Das geht Sie nichts an. Ich habe ein Taxi bestellt, und Sie sind hier, da gibt es nichts zu diskutieren.«

»Probleme?«, meldete sich Agnes aus der Zentrale.

»Nein, aber ich mache gleich Schluss, und die Fahrt soll nach Arlanda gehen. Ich muss nach Hause, zu Lina.«

»Das ist doch wohl nicht wahr«, brüllte der Mann auf der Straße.

Martin sah ihn an und verzichtete auf eine Antwort.

Der Mann auf dem Bürgersteig starrte ihn an, als wäre er ein Außerirdischer. Martin schloss das Seitenfenster und fuhr los, schaltete das Radio ein und hörte Solomon Burkes Stimme.

An der Straßenecke, an der die Konditorei Fågelsången lag, fiel Martin wieder ein, dass sich dort in der Nacht ein Junge über ein Mofa gebeugt und sich übergeben hatte. Er hatte kurz aufgeschaut, als Martin vorbeigefahren war, und den gleichen Blick gehabt wie die Schaufensterpuppe vor dem Bekleidungsgeschäft. Die Leere des Entsetzens. Ehe er links abbog, hatte er aus den Augenwinkeln noch gesehen, dass der Junge mit seinen Fäusten auf eine Hausmauer einschlug.

Er nahm die Kurve am Teich viel zu schnell, und der Wagen geriet kurz ins Schleudern. Auf der Islandsbron stand über das Brückengeländer gebeugt ein junger Mann und starrte in das tosende Wasser des Flusses hinab. Irgendetwas an der geduckten Gestalt ließ Martin Nilsson anhalten. Der Mann sah aus, als hätte er etwas im Fluss verloren und suchte jetzt in den Wassermassen danach. Er schüttelte den Kopf und bewegte die Lippen, sprach zum Wasser, fluchte und richtete sich blitzschnell auf, als hätte ihn der Schlag getroffen.

Martin Nilsson stieg aus dem Wagen und wusste nicht recht, ob und wie er den jungen Mann ansprechen sollte. Er geht dich doch gar nichts an, dachte er, wusste aber, dass er nicht einfach weiterfahren konnte.

»Alles in Ordnung?«

Der junge Mann wandte sich langsam um, sah Martin an und nickte. Er hatte geweint.

»Soll ich dich mitnehmen?«

»Ich habe kein Geld.«

»Die Fahrt geht aufs Haus«, sagte Martin und bereute sein Angebot sofort. Warum mischte er sich ein? Er würde sich vielleicht eine lange, traurige Geschichte anhören müssen, und unter Umständen würde sein Wagen besudelt, auch wenn der Junge nicht betrunken wirkte, aber man wusste ja nie.

»Wo wohnst du denn?«

»Svartbäcken«, antwortete der junge Mann.

»Steig ein«, sagte Martin. »Ich habe Feierabend, muss aber sowieso in die Richtung.«

Der Junge sah ihn einen Moment lang unsicher an, bevor er in den Wagen stieg.

»Das ist nett von Ihnen«, sagte er nur.

Er war ungefähr zwanzig Jahre alt, trug eine Wollmütze mit Ohrenschützern und roch nach Schweiß. Er hatte nur ein T-Shirt an, aber auf seinem Schoß lag eine Jacke. Martin schielte zu ihm hinüber.

»Hast du gesehen, wie es in der Stadt aussieht?«

»Bitte?«

»Irgendwelche Idioten haben die ganzen Schaufenster zertrümmert. Es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.«

»Ich komme von einem Mädchen.«

»Ist doch schön«, sagte Martin.

»Sie hat Schluss gemacht.«

»Oh, verdammt.«

»Vielleicht ist es auch besser so. Wir passten einfach nicht zusammen.«

»Sind das ihre Worte?«

Der junge Mann lächelte zum ersten Mal, aber in seinem Blick lag keine Freude.

»Wie heißt du?«

»Sebastian, nein, ich meine Marcus.«

»Du bist dir nicht sicher, wie du heißt?«

»Marcus.«

»Seid ihr lange zusammen gewesen?«

Sie hatten bereits die Kungsgatan erreicht, als der Junge endlich antwortete.

»Drei Jahre.«

»Das ist hart«, sagte Martin.

Plötzlich kam Leben in Marcus. Er wandte sich dem Taxifahrer zu und legte dabei eine Hand auf das Armaturenbrett.

»Zuerst hat sie nur gesagt, sie will nicht mehr, und dass sie eine Auszeit braucht. Dass sie mich liebt, aber nachdenken müsste.«

»Das klingt doch plausibel«, meinte Martin.

Es gefiel ihm nicht, dass Marcus sein Auto begrapschte, aber gleichzeitig munterte es ihn auch auf, sich mit jemandem unterhalten zu können.

»Aber sie liebt mich, das weiß ich genau.«

»Das möchte man natürlich gerne glauben«, erwiderte Martin unbarmherzig und sah den jungen Mann mit einer Miene an, die gutmütig wirken sollte. Marcus ließ sich auf den Beifahrersitz zurücksinken und seufzte.

»Vielleicht braucht sie ja wirklich ein bisschen Zeit zum Nachdenken«, versuchte Martin auf ihn einzugehen, während sie am Luthagsleden vorbeikamen.

»Sie macht doch nichts anderes als nachdenken.«

»Ich bin auch allein«, erklärte Martin, »obwohl ich natürlich Lina habe, meine Tochter. Sie ist achtzehn.«

»Am schlimmsten ist, dass sie einen anderen hat. Das ist mir erst heute Nacht klar geworden.«

»Dann ist sie bestimmt einfach unsicher«, sagte Martin.

»Es wäre schön, immer weiterzufahren, einfach abzuhauen, die E 4 in den Norden zu nehmen.«

»Also, ich persönlich würde lieber nach Süden ziehen«, erwiderte Martin.

»Es wäre schön, einfach immer weiterzufahren«, wiederholte Marcus.

»Wo wohnst du?«

»Hinter der Kreuzung.«

Martin Nilsson schielte in den Rückspiegel und hielt an.

»Wir könnten einen Kaffee trinken, wenn du Lust hast«, sagte er. »Ich bleibe nach der Nachtschicht immer noch ein bisschen auf und wohne nur ein paar Häuserblocks entfernt. Es ist zumindest ein kleines Stück weiter im Norden.«

Marcus schaute den Taxifahrer verstohlen an.

»Ich bin nicht schwul«, sagte Martin und lachte.

»Das habe ich auch nicht gedacht«, erwiderte Marcus. »Okay, eine Tasse Kaffee.«

CHAPTER 3

Samstag, 10. Mai, 7.50 Uhr

Es klopfte an der Tür und Riis lugte herein.

»In der Stadt ist der Bär los. Habt ihr schon gehört?« Ottosson nickte.

»Was ist denn?«, erkundigte sich Ann Lindell.

»Irgendeine Gang hat die Schaufenster im Stadtzentrum eingeschlagen«, sagte Haver leise.

»Woher wissen wir denn, dass es eine Gang war?«, fragte Sammy.

»Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass eine einzige Person hundert Schaufenster zertrümmert«, antwortete Haver.

»Sollen wir uns eine Tasse Kaffee genehmigen, bevor wir an die Arbeit gehen?«, fragte Ottosson.

»Wir fahren gleich hin«, entschied Lindell und sah Haver an. »Berglund und Fredriksson, ihr könnt in einem zweiten Wagen mitkommen.«

Sie schaute Ottosson an, der etwas verwirrt schien. Er hatte sich auf ein nettes Plauderstündchen, eine Tasse Kaffee und die Teilchen gefreut, die er am Morgen gekauft hatte. Nach seiner Einschätzung war das nach Lage der Dinge kein Fall für die Kriminalpolizei, so dass Ottosson in Lindells Feuereifer durchaus den Versuch sehen konnte, einer gemeinsamen Kaffeerunde zu entfliehen.

»Wir trinken später eine Tasse Kaffee zusammen«, sagte Ann Lindell und umarmte ihn von hinten.

Der Kommissariatsleiter nickte.

»Es ist ein Elend, dass der Tag schon so anfangen muss«, jammerte er.

»Das ist's doch genau, wonach wir uns sehnen, nicht wahr, Ann?«, meinte Berglund.

Samstag, der 10. Mai. Das Polizeipräsidium von Uppsala, der viertgrößten Stadt des Landes. Zehn Gebäckstücke. Sieben Kriminalpolizisten. Für einen Moment war es vollkommen still in dem kleinen Konferenzraum. Es roch schwach nach Kaffee.

Zwei Minuten später war der Raum leer. Fredriksson ging als Erster, in Gedanken bei einer Dokumentation über die Halbinsel Kamtschatka. Er hatte nur die Hälfte der Sendung gesehen und würde mit Sicherheit auch die Wiederholung am Nachmittag verpassen. »Wir sind nicht stolz, aber wir glauben an die Wahrheit, wir lügen nicht«, hatte ein alter Mann in dem Film gesagt.

Ottosson trauerte der kurzen Zeit nach, die sie hätten gemeinsam verbringen können. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Er würde vorzeitig in den Ruhestand gehen. Das Wochenendhaus draußen in Jumkil erwartete ihn. Eigentlich hatte er vorgehabt, es den Kollegen heute bei einer Tasse Kaffee mitzuteilen.

Ann Lindell war seltsam aufgewühlt. Es war der erste ernsthafte Zwischenfall in der Stadt seit ihrer Rückkehr aus der Elternzeit. »Was ist so toll dran, es geht doch immer nur um schreckliche Dinge«, hatte ihre Mutter gesagt, als Ann ihr erzählte, wie froh sie darüber war, endlich wieder arbeiten zu dürfen.

Schreckliche Dinge, sicher, das stimmte, war aber nur die halbe Wahrheit. In den letzten zwei Jahren hatte Ann Lindell viel über ihre Arbeit nachgedacht. Warum zogen diese schrecklichen Dinge sie magisch an? Sie war zu dem Schluss gekommen, dass nicht das hochtrabende Gerede von Gerechtigkeit und Anständigkeit, sondern eine nicht zu bezähmende Neugier sie wieder ins Polizeipräsidium trieb. Außerdem hatte sie sich wahnsinnig auf ihre Kollegen gefreut, wobei sich ihr Blickwinkel in dem Punkt verschoben hatte. Suchte sie früher vor allem die Nähe ihrer jüngeren oder gleichaltrigen Kollegen, waren nun eher Berglund, Fredriksson und natürlich Ottosson die Menschen, die sie am meisten schätzte.

(Continues…)


Excerpted from "Nachtschwalbe"
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