Read an Excerpt
2.1 Die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit Die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung hat sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte prägend mit sozialisationsbedingten Aspekten von Geschlechtskonstruktionen in unserem Kulturkreis beschäftigt. Ein bedeutender Schritt war und ist die in den Hintergrund tretende Annahme einer rein biologisch bedingten Geschlechtsdifferenz, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine Aufwertung der Differenz weiblicher und männlicher Wesensmerkmale etablierte (Vgl. BRANDES 2002, 47), hin zu einer Verschiebung des Denkens in Richtung einer sozialen und kulturellen und somit veränderbaren Interpretation von Geschlecht innerhalb menschlicher Gemeinschaften. Einen wesentlichen Beitrag zur kritischen Betrachtungsweise eines gesellschaftlichen Konsens dessen, was Männlichkeit und Weiblichkeit sei und was es nicht sei, liefert unter anderem CAROL HAGEMANN-WHITE, die uns 1988 eine Kultur der Zweigeschlechtlichkeit diagnostiziert, in welcher die Kategorie Geschlecht alltagstheoretischen Attribuierungen von Eindeutigkeit, Naturhaftigkeit und Unveränderbarkeit unterworfen sei (Vgl. HAGEMANN-WHITE 1988, 228). Auch HANNELORE FAULSTICH-WIELAND (2008) zeigt auf, dass die Zugehörigkeit zu einem der beiden kulturell affirmierten Geschlechter eine omnipräsente Komponente unserer Gesellschaftsstruktur sei (Vgl. FAULSTICH-WIELAND 2008, 240). Mit dem Hinweis auf gleichwohl existierende Abweichungen in der Auffassung von Geschlecht, Geschlechtszugehörigkeit, Zweigeschlechtlichkeit und sozialer Etikettierung von Geschlecht im Alltagsverständnis anderer Kulturen macht HAGEMANN-WHITE (1988) deutlich, dass Zweigeschlechtlichkeit "zuallererst eine soziale Realität" (HAGEMANN-WHITE 1988, 229) sei. Sie äußert sich kritisch gegenüber einer konsensuellen Tatsachenkonstruktion, die sich in Formulierungen wie ,es gibt nun 'mal Männer und Frauen' spiegele und somit einen biologistischen Unterschied konstituiere und bewahre. Den in ihrem Verständnis lohnenderen Weg gehe eine Wissenschaft, die sich der ,Null-Hypothese' zuwende, also radikal mit jeglicher Annahme naturgegebener Zweigeschlechtlichkeit breche (Vgl. HAGEMANN-WHITE 1988, 229f.). Anhand dieser Hinweise verdeutlichte HAGEMANN-WHITE (1988) die Notwendigkeit sozialwissenschaftlicher Sprachspezifizierungen mit Hilfe der Wortdifferenzierung von "sex" (als biologischem Geschlecht) und "gender" (als sozialem oder psychologischem Geschlecht) und den darin enthaltenen Zuschreibungen, Begrenzungen sowie Auflösungen von Geschlechtszugehörigkeit (Vgl. HAGEMANN-WHITE 1988, 227-230). Ein für die Geschlechterforschung aufschlussreiches Gegenmodell zu dem Axiom biologistisch determinierter Zweigeschlechtlichkeit liefern zudem alternative Entwürfe geschlechtlicher Identität wie der Transsexualität, Transgender oder Intersexualität. Der in westlichen Kulturen präsente soziale Druck, Menschen mit nicht eindeutiger Geschlechtsidentität einem der beiden sozial akzeptierten Geschlechter zuweisen zu müssen, äußert sich beispielsweise in der bis heute gängigen Prozedur der operativen Genitalangleichungen im Säuglings- oder Kleinkindalter bei Intersexualität (zur Terminologie und Klassifikation von Transsexualität und Intersexualität: Vgl. z.B. SCHWEIZER 2010, 22ff.).