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Overview
Product Details
ISBN-13: | 9783641037468 |
---|---|
Publisher: | Heyne Verlag |
Publication date: | 11/27/2009 |
Sold by: | Bookwire |
Format: | eBook |
Pages: | 402 |
File size: | 996 KB |
Language: | German |
About the Author
![About The Author](http://img.images-bn.com/static/redesign/srcs/images/grey-box.png?v11.9.4)
Read an Excerpt
Februar 2006
Gus Simpson liebte Geburtstagstorten.
Schokolade, Kokosnuss, Zitrone, Erdbeer, Vanille - die Klassiker hatten es ihr besonders angetan.
Sie probierte neue Geschmacksrichtungen und Glasuren aus, beträufelte die Torten mit Sirup und garnierte kunstvoll mit Hibiskusblüten. Aber am meisten mochte sie traditionelle Dekorationen wie handgeformte Marzipanfiguren oder bunte Zuckerstreusel. Bei Geburtstagstorten zählte nun mal Nostalgie. Es ging darum, mit allen Sinnen in der Erinnerung an einen perfekten Augenblick der Kindheit zu schwelgen. Gus hatte das verstanden.
In den zwölf Jahren beim Kochsender Cooking-Channel - und drei erfolgreichen Sendereihen - hatte Gus in ihren Fernsehküchen viele Desserts zubereitet, von ihrer weißen Mousse au Chocolat über köstliche Pfirsichtorte, karamellisierten Apfelauflauf mit Teigkruste bis zu mit Bourbonvanille verfeinertem Pekannuss Pie. Als »Selfmade-Köchin« ohne professionelle Ausbildung zauberte sie köstliche Speisen und glitt dabei nie ins Hausbackene ab. Dabei legte sie Wert darauf, dass ihre Gerichte zwar vollendet, aber nicht aufwendig waren.
Bei Geburtstagstorten sah die Sache jedoch anders aus. Jedes einzelne ihrer süßen Tortenstücke sollte nicht nur den Magen, sondern auch die Seele nähren.
Gus feierte gern. So gern, dass sie sämtliche Geburtstagspartys für ihre erwachsenen Töchter, Aimee und Sabrina, ihre Nachbarin und gute Freundin Hannah, ihren Produzenten Porter und ihre langjährige Küchenassistentin ausrichtete.
Aber damit nicht genug. Gus zelebrierte mit Begeisterung den Nationalfeiertag - was für eine Amerikanerin nicht ungewöhnlich war. Dass sie jedoch zudem Weihnachten am 25. Dezember feierte, fiel für jemanden, der katholisch erzogen war, doch etwas aus dem Rahmen. Außerdem zelebrierte sie den Valentinstag und den St. Patricks Day, die Ehrentage von Präsident Lincoln, Kochgenie Julia Child (15. August), Henry Fowle Durant, dem Gründer ihrer Alma Mater, dem Wellesley College (22. Februar) sowie Mary Beeton, der Autorin des berühmten Book of Household Management (12. März) - ungeachtet der Tatsache, dass die Ehrengäste an den Feierlichkeiten wegen Ablebens nicht teilnahmen.
Manche Gastgeberinnen lieben Partys, weil sie gern im Mittelpunkt stehen. Gus dagegen wollte auf ihren Partys jedem das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein.
»Ich werde dann mal eine Kleinigkeit vorbereiten«, pflegte sie zu ihren Töchtern, Freunden, Kollegen und ihrem Publikum zu sagen. Sie liebte es, sich um andere zu kümmern, sie zu umsorgen und zu bekochen.
Es gab nur einen Geburtstag, den sie leid wurde. Und das war ihr eigener. Im Grunde hatte sie es satt, ihn überhaupt zu feiern. Doch nur allzu bald war es wieder so weit - am 25. März würde Augusta Adelaide Simpson fünfzig werden.
Der Haken daran war, dass sie sich nicht wie fünfzig fühlte, sondern eher wie fünfundzwanzig (wobei sie gern ignorierte, dass ihre älteste Tochter, Aimee, siebenundzwanzig war und die jüngere, Sabrina, fünfundzwanzig). Von daher war sie überrascht, als sie die Jahre zusammenzählte und feststellte, dass sie bald ein halbes Jahrhundert alt sein würde.
Ein halbes Jahrhundert Gus.
»Für die Zubereitung einer Vinaigrette nehmen Sie den besten Sherry, den Sie sich leisten können«, hatte sie kürzlich in einer der Sendungen empfohlen und plötzlich gemerkt, dass der Sherry fast so alt war wie sie.
»Ich könnte auch in Flaschen abgefüllt im Regal stehen«, hatte sie daraufhin gesagt und gelacht.
Aber da war dieses mulmige Gefühl, das sie nie ganz losließ. Sechsundvierzig, siebenundvierzig, achtundvierzig und sogar neunundvierzig - die Partys waren eine Wucht gewesen. Als sie die Kerzen auf ihrer letzten Geburtstagtorte ausblies - eine Möhren-Ingwer-Torte mit Zimt-Frischkäse-Glasur - hatte Porter laut gerufen: »Und nächstes Jahr steigt die Riesenparty!« Gus hatte mit den anderen zusammen gelacht - und sich gut gefühlt. Wirklich. Ganz ehrlich. Sie hatte keinen Termin für eine Botox-Behandlung vereinbart und nicht angefangen, Halstücher zu tragen, um Fältchen zu verbergen. Fünfzig zu werden, so sagte sie sich, ist keine große Sache. Bis sie eines Morgens aufwachte und bemerkte, dass sie rein gar nichts geplant hatte. Sie, die es sich nie entgehen ließ, eine Party zu organisieren. Und da wurde ihr klar, dass sie gar nicht feiern wollte.
Während sie eines Morgens ihr goldbraunes Haar mit farbauffrischendem Shampoo wusch, grübelte sie über ein Problem nach. Es bewegte sich irgendwo zwischen der Planung ihrer Sendungen für das kommende Jahr und der Ankündigung, dass der Cooking-Channel das Budget kürzen und weniger Folgen als sonst ins Programm nehmen würde.
»Die Kabelsender verlieren Marktanteile«, hatte Porter ihr erklärt. »Wir müssen diese Durststrecke irgendwie überstehen.« Er war schon lange im Fernsehgeschäft, länger als Gus, und er war beneidenswert erfolgreich - ein schwarzer Mann inmitten der weißen Welt der Kochshows. Es ging das Gerücht um, dass er zum Programmleiter ernannt werden sollte. Gus vertraute auf Porter.
Dann engagierte der Cooking-Channel einen Stilberater, der Gus erklärte, dass es »ab einem bestimmten Alter« für manche Frauen vorteilhaft sei, ein paar Kilos zuzulegen, um die Haut zu straffen. (»Sie sind wunderbar schlank, aber es würde nicht schaden, die Fältchen im Gesicht etwas auszupolstern«, hatte er ihr freundlich erklärt. »Gute Ausleuchtung hat auch ihre Grenzen.«) Eines Abends ging sie mit Sabrina zum Essen und bewunderte die Gäste am Tisch gegenüber. Dort saß eine attraktive junge Frau mit schwarzem Haar in einem leuchtend pinkfarbenen Kleid. Sie war in Begleitung einer stirnrunzelnden älteren Dame mit karamellfarbenem, mittellangem Bob in einem Hosenanzug aus graubraunem Leinen. Und dann fiel Gus plötzlich auf, dass an der Wand gegenüber ein Spiegel hing und sie selbst diese mürrisch aussehende Frau war. »Alles in Ordnung, Mom?«, hatte Sabrina gefragt, während sie dem Kellner zu verstehen gab, dass sie noch ein Mineralwasser wollte. »Du siehst aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen.«
Gus war nicht mehr jung.
Anfangs hatte sie diese Erkenntnis zusammen mit den weißen Schuhen nach dem Labour Day, an dem das Ende des Sommers gefeiert wurde, eingemottet. Aber die Wahrheit wollte sich nicht so einfach wegschließen lassen und kam ständig wieder zum Vorschein. Manchmal war es ein neues Fältchen, das sie plötzlich entdeckte, dann wieder ein Knacken im Knie, wenn sie sich vorbeugte, um einen Kochtopf hervorzuholen. Und dann gab ihre langjährige Assistentin aus heiterem Himmel bekannt, dass sie sich zur Ruhe setzte. Mit anderen Worten: Sie hatte das Rentenalter erreicht. Zwölf Jahre waren vergangen, seit 1994 Gus' erste Kochsendung Der Mittagstreff ausgestrahlt worden war.